Vielleicht ist es ein Anachronismus? Ich meine: wer geht schon noch in die Bäder? Das war mal im alten Rom. Und zu Opis Zeiten, als der sich schröpfen liess. Heute schröpfen uns die Steuern. Und dazu muss keiner extra nach Abano.
Ich tus trotzdem. Denn erstens ist es das Eintauchen in eine Welt, wo die Hotelhallen noch voll mit Yuka-Palmen und Stehgeigern sind. Und zweitens liebe ich es, morgens um vier Uhr wie ein Gespenst in weissen Tüchern durch geplättelte Hallen zu wandeln, um von einem bulligen Bademeister mit Schlamm eingeschmiert zu werden wie der Gigot mit Senf.
Um mich herum liegen andere Geschlammte, als wären es erstarrte Lavaleichen von Pompei. Sie dampfen. Über ihre Gesichter perlen Schweisstropfen, die sich im dritten des Vierfachkinns sammeln und unangenehm kitzeln. Mit Kratzen ist nix. Du bist erbarmungslos in Decken zugeschnürrt. Jetzt weisst du auch, wies dem Pharao in seiner Kiste zumute war, wenns ihn gebissen hat.
Endlich kommt Attilla mit seinem erlösenden Schlauch und spritzt dich eiskalt ab. Zitternd stehst du im Gekachelten und siehst, wies deinen Dreck wegschwemmt. «Ebè!» - knurrt der Bademeister. Er stösst dich in diese Halle, wo auch die andern Abgespritzten stehen. Du riskierst nicht einmal einen Blick auf ihre ausgemergelten, krummen Körper, denn du weisst, dass dies ihre Vergangenheit und deine Zukunft ist. Nein - die Bäder von Abano Terme haben nicht mehr die Blütezeit von einst, als da noch der kleine Duce in den Schlamm stieg. Noch heute ist die schwarz gekachelte Wanne des Führers mit dem kleinen silbernen Einstiegsgriff ein Pilgerort. Klapprige Knacker mit Jägerhütchen und schrumpeligen Kniehosen nehmen vor dem schwarz gekachelten Bad stramm Haltung an. Mit leisen Seufzern streicheln sie über die Handstütze, so dass diese merklich abgegriffen ist - ähnlich wie der Fuss des heiligen Petrus im Vatikan oder die Schnauze der Wildsau von Florenz. Die alten Kästen in den Colli Euganei stehen heute wie Geisterhäuser verlassen da. Die heissen Quellen blubbern ins Leere und die grauen Nebel steigen geheimnisvoll über dem letzten Schneefleck auf. Die Leute haben keine Zeit für romantische Kuren - heute kann man die Jugend im Fitness-Center konservieren, alles mit Silicon auffüllen lassen und dem Zipperlein die Spritze geben.
Attilla schwärmt von einer Epoche, als sich die Matronen üppige Törtchen ins Wasser servieren liessen und die knielangen Badeanzüge all das schamhaft versteckt haben, was heute beim Bikini wie eine explodierte Blutwurst herausquillt.
Abends sitze ich mit meinen Freundinnen Grethchen und Evchen fast alleine in diesem riesigen Speisesaal, wo ein «maestro» die Pasta mit «Strangers in the Night» am Piano begleitet und nach der Eistorte, welche das Servicepersonal hereinbalanciert, Evchen von einem Alt-Soldaten zum Tanz aufgefordert wird. Es ist ein Wienerwalzer. Und leider löst sich beim Linksherum die Schraube am Bein. Wo gibts diese erquickenden Momente beim Silicon? Oder im Fitness-Center?