Der Blaggedde-Verkäufer

Als mich der Binggis mit seinen untertassengrossen, rabenschwarzen Augen anschaute, da konnte ich gar nicht anders.

Klar. Ich habe schon einige Dutzend Fasnachtsblaggedde angehängt bekommen: 3 kupferne, 6 silberne, 3 goldene. Da sind die Kinder von Urs (sie nehmen die Bestellungen schon im Oktober auf). Da ist meine Nachbarin (pfeift in einem Schyssdräggzigli). Dann mein Masseur («Was hast du gegen Wagencliquen? Jetzt unterstützt auch uns einmal!»).

ICH KANN NICHT NEIN SAGEN. Überdies wird mir immer mal wieder eine Blaggedde vom Wintermantel-Kragen gefilzt, wenn ich meinen Trenchcoat in der Beiz an der Garderobe hängen lasse.

Deshalb: «Kaufe Si au e Blaggedde?» - die Augen rollen. Der Mund lacht.
Ich ziehe seufzend das Portemonnaie: «Gut denn - eine Kupferne.»
Da schauen die Augen eine knappe Sekunde enttäuscht - aber es reicht, um mich selber korrigieren zu hören: «Na ja - also eine Silberne?»

Nun strahlt der Binngis. Sein Copin neben ihm strahlt mit: «Das ist Ahmed. Er ist unser bester Tambour. Ahmed hat sich letztes Jahr gar in den Final geruesst?» Ahmed geniert sich ein bisschen. Er mag anscheinend nicht, wenn man von ihm spricht. Schon gar nicht über seine Trommelkünste. Aber sein kleiner Freund ist ein Plappermaul: «Er muss sich sein Kostüm selber verdienen. Sie haben zu Hause kein Geld und?» «Sei still!», knurrt nun der Mini-Blaggeddeverkäufer und pufft sein Vis-à-Vis in die wattierte Regenjacke. Dann schauen mich die grossen Augen wieder an: «Eigentlich hätte ich ja gar nie trommeln dürfen. Mein Vater war dagegen. Das sei nicht unsere Kultur und so? na ja, meine Mutter hat sich durchgesetzt. Sie glaubt, dass es für mein Temperament gut sei. Und für meine Integration in diesem Leben hier. Und so bin ich zu Trommelstunden in unserer Quartierclique gekommen!»

«Er hatte es vom ersten Dupfen an drauf?», sagt der Freund, «und als dann unser Trommellehrer bei Ahmeds Vater vorsprach, war dieser doch ganz stolz auf seinen Jüngsten - besonders als der Instruktor erklärte, Ahmed würde als erster Türkenbub alle Basler an die Wand trommeln. Da hat er Überstunden gemacht?» «KLAPPE!», baut sich Ahmed nun auf. «Es ist meine Geschichte: Also - mein Vater hat in einem Putzteam gearbeitet. Und - wie Pierre sagt - Überstunden gemacht. So konnte er mir auf die zweite Fasnacht hin eine Trommel kaufen. Aber nun haben sie ihm gekündigt. Die Geschäfte gehen schlecht. Und da putzen die Leute halt selber. Deshalb muss ich selber das Geld verdienen. Ich habe bis jetzt für über 300 Franken Blaggedde verkauft. Das bringt mir schon 30 Franken. Und?» «Wir verkaufen alle mit?», plappert Pierre. «MAUL HALTEN!», grinst der Freund. Dann zu mir: «? es ist meine Story. Aber Sie sind doch der von der Fernsehküche. Und schreiben Sie nicht auch Geschichten für die Zeitung? Sie können meine haben. Wenn Sie sich einen Ruck geben und eine Goldene bestellen, dann verrate ich Ihnen auch, dass mein Vater vielleicht ab 1. April die Abwartstelle in einem Supercenter hat und?»

Meine Lieben - ich habe nun vier Goldene.
Und ihr habt die Geschichte.

Montag, 13. Februar 2006