Mit fünf Lenzen überfiel es mich erstmals.
Ich bebte am ganzen Körper vor Neid. Ich fieberte vor Verlangen. Objekt meiner Begierde war Dora. Nicht sie selber.
ABER DORA TRUG EIN PRINZESSCHEN-KOSTÜM.
Und das war das ehrgeizige Ziel meiner Wünsche.
ICH WOLLTE PRINZESSIN SEIN.
Später, als mich Generationen von Psychoanalytikern flach legten, um die Gründe meiner skurrilen Bedürfnisse zu erforschen, klopften sie mit ihren Bleistiften immer wieder etwas ungeduldig auf den Block:
«... also mental war dieser Wunsch Pinzessin zu sein schon im 5-jährigen Knaben latent schwebend...»
WESHALB REDEN PSYCHO-ONKELS IMMER WIE RUSSISCHER SALAT - SO UNDEFINIERBAR?
Tatsache war doch einfach, dass Dora am Kindergarten-Fasnachtsumzug ein Prinzessinnen-Kostüm trug. Und ich daneben als Grünfrosch eine ziemlich banale Falle machte.
ICH WOLLTE KEIN GRÜNFROSCH SEIN.
Ich wollte die Krone.
Für einmal waren sich Vater und Mutter einig: «Fasnacht verdirbt das Kind. Wir fahren weg nach Adelboden - dort kommt es auf andere Gedanken...»
(In Adelboden bin ich dann huldvoll winkend mit den alten Tüllvorhängen von Pierens Lisette durch den Schnee stolziert. Die bäuerliche Umgebung benahm sich rüpelhaft, verweigerte den Kniefall und tippte sich an die Stirn: «Hammel Hausis Hanspeter hat sie nicht alle...»)
Später hat sich das Fasnachtsfieber ganz anders manifestiert. Schlaflose Wochen vor dem Morgestraich... die Sorge, ob unser Requisit auch rechtzeitig fertig wird... und die heisseste aller Fragen: Werde ich nun bei der jungen Lälli Pfeiferchef oder nicht?
Die Welt drehte sich um Fasnacht. Für anderes war kein Platz. Meine Eltern habens nie kapiert - aber da sie tolerante Menschen waren, schickten sie sich drein. Auch als der Bub an seinem ersten Morgestraich als «Frau Holle» gehen wollte - weil das Kopflaternchen neben der Krone keinen Platz hatte.
Das Fasnachtsfieber hatte mich nun total gepackt - auch später, als ich mit einem kleinen Pfeifergrüppchen weniger Fasnacht als Concerto machte. Wir übten das ganze Jahr hindurch, schrieben Vivaldi und Bach auf Schreiholz um. Und wir konnten es kaum erwarten in die engen Gassen zu kommen, weil dort unser Concerto am schönsten tönte.
Auch damals: Schlaflose Nächte davor!
«Es geht vorbei!», tröstete meine Mutter den guten Innocent, der dies alles nicht kapierte. Weil er vom Fasnachtsvirus ebenso wenig angesteckt war wie meine Eltern.
ES GEHT NIE VORBEI!
Als ich vor zwei Jahren am Freitag vor Fasnacht mit 40 Grad Fieber im Bett lag, als die Ärzte mich mit Chemie vollpumpten wie diese Erdbebenlöcher mit Wasser - da habe ich im Delirium immer wieder gestöhnt: «Lasst mich an den Morgestraich... ich MUSS an die Fasnacht!»
Es war «HÜÜLGSCHICHT» pur.
Und als ich dann morgens um vier Uhr im Bett lag und von ferne dieses Donnern der Trommeln hörte - da habe ich in die Kissen geheult. Und Linda, die mir immer wieder von ihrem schrecklichen Bitterkräutertee löffelte, schüttelte ihren alten Kopf: «Ja, ja... - ist Fasnachtsfieber... ist schreckliches Krankheit...»
Fachleute der Szene haben mir erklärt: «Im Alter gehts vorbei...»
Entweder bin ich noch nicht alt.
Oder es ist wie immer: Die Fachleute haben von der Materie einen Dreck kapiert...