Beraubt

Drei Tage vor dem neuen Jahr haben sie mein - ICH - gestohlen. Na ja - gestohlen würde ja noch angehen.
SIE HABEN ES MIR GERAUBT. Im Tram - genauer: in der Nummer 8, die von der Römer Torre Argentina zur Stazione Trastevere rumpelt. Die Täter kamen von hinten - doch davon später.

«Im neuen Jahr wird gespart!» - hat Innocent mir die versteinerte Losung sämtlicher Jahre, die ich nun mit ihm zusammen spare, durchgegeben. «Da wird nicht einfach für jeden Mist das Geld zum Fenster rausgeworfen. Und vor allem wird nicht für jede 100 Meter ein Taxi genommen?»

Innocent nimmt nur im allerhöchsten Notfall ein Taxi. Etwa wenn seine neuen Knieschrauben nach dem zweiten Fläschlein lottern.
Oder wenn die dritte Käseschnitte seine Hose sprengt. PENG! Das Gesäss hängt durch. Der graue Jockey-Slip blitzt durch den abgewetzten Manchester. Und das letzte Tram ist abgefahren. JETZT IST IHM EIN TAXI RECHT. Sein Trinkgeld nach der Fuhre: ein gütiges Wort und zehn Centimes. Sein Vater gab noch die Hälfte. Innocents Familie hat die Petition zur Beibehaltung des Fünfrappenstücks ohne Ausnahme unterschrieben. Doch davon ein anderes Mal.

Zurück nach Rom. Sehnsüchtig schaue ich auf die Taxischlange. Der Weg zur Stazione Trastevere kostet in etwa sieben Euros. Das ist viel Geld, wenn einer es mit dem Honorar für diese Zeilen in Vergleich zieht. Überdies sounden mir Innocents Sparklagelaute im Ohr. Deshalb: adieu bequeme Taxifahrt. Rein ins überfüllte Tram. Und die beiden Koffer zwischen die müden Beine geklemmt.

Dann spüre ich es: klare Anmache von hinten. Jemand drängt sich so unfein heiss an mich heran, dass ich zuerst kichere, dann einen Schwall von Knoblauch einatme und mich umdrehen will. Zwei Arme halten mich - ausgekichert!
Zwei andere Arme kommen nun von vorne. Flinke Hände tasten das arme Opfer ab. Die Trampassagiere schauen so gebannt zu, als wäre die Killerserie vom Berlusconi-Sender live aus der Mattscheibe gehüpft. Dann jagen die Täter davon.

«AIUTO!!», schreie ich. Die elektrische Tramtüre schnappt zu. Wir fahren zur nächsten Station - das Böse draussen. Ich drinnen.
Auf dem Polizeiposten wollten sie, dass ich mich ausweise. ERST KÖNNEN VOR LACHEN! Mein «ICH» war mit dem Pass, den Credit Cards und der Visitenkarte eines frisch kennen gelernten Professoren des Priesterseminars weg. Letzterer war viel versprechend.

Ich schilderte den Überfall, badete in Tränen und hoffte auf ein bisschen Wärme.
Ich hätte genauso gut auf einen Saunabesuch mit Robert Redford hoffen können.
Die Herrschaften schauten mit vorwurfsvollem Blick doch total desinteressiert auf den Beraubten. Dann nervten sie mit dummen Fragen: «Die Nummer der Credit Card?»
Ich meine - das ist doch das allerletzte. Schon mit dem Lehrsatz von Pythagoras hatte das Opfer jahrelang Mühe. Nun soll es auf seine alten Tage noch die Nummern der Kreditkarten auswendig lernen?

Wieder Tränen. Wieder herzergreifendes Gejammer. UND WAS TUN DIESE CARABINIERI MIT IHREN IMMER HEISSEN PISTOLEN? - Nichts. NICHTS! Nur: «? und weshalb haben Sie kein Taxi genommen?!»
Wo sie Recht haben, haben sie Recht.
Höchste Zeit, dass der Fünfräppler abgeschafft wird!

Montag, 2. Januar 2006