Anarchie

Ok. Larve versorgt. Kostüm in der Reinigung. Und die Zeedel hängen als gereimte Erinnerungen an all diese Nervensäge-Momente des vergangenen Jahres vis-à-vis der Toilettenschüssel.
DANKE. DAS WARS. Und tschüss!
Eigentlich schade. Und auch irgendwie seltsam.
Ich meine: Da kommt eine Stadt während 72 Stunden ins Lodern. Da werden Energien verschleudert wie russisches Geld in den Spielbanken. Doch es scheint, dass sich die ganze Kreativität der Basler auf diese drei Fasnachtstage konzentriert: Jetzt wird er aufmüpfig. Jetzt lebt er sein Leben. Jetzt sagt er der ganzen Welt, was er von dieser hält. Er hat grünes Licht. Und einen Narrenfreipass.
Nach drei Tagen ist dann wieder Schluss. Faust im Sack. Und Ganzjahrespause.
WIRKLICH SCHEISSE!
Ich habe mich durch 220 Fasnachtszeedel durchgelesen. Ein Schleck ist das nicht. Aber aufschlussreich. Jeder dritte Zeedel nervt sich über die Verbote, über neue Gesetze, die noch mehr einschränken? über die Fesseln des Alltags, von denen es immer mehr werden.
Hier brennts dem Volk unter den Nägeln. Es will weniger Einschränkungen. ES WILL MEHR FREIHEIT.
Ok. Die Menschen ärgern sich auch über eine intolerante Kirche, über politische Miesmachenschaften? ob links oder rechts? und darüber, dass sie von den «Hääfelischülern» bald mit «servus» begrüsst werden. Die Leute nerven sich, dass die deutschen Nachbarn unsere besten Arbeitsplätze besetzen und in ihrem Quartier bereits der dritte Begegnungszonen-Platz gepflastert wird, obwohl schon auf den andern Plätzen nie irgendwelche Begegnungen stattfinden.
Kurz: Den Menschen ist der Kragen geplatzt. Sie haben laut aufgebrüllt. Aber eben: für 72 Stunden. Dann ist der Spuk (hokuspokus) vorbei? und es ist wie mit dem alten Witz von den beiden Sozialarbeitern: «Schön, dass wir darüber reden konnten...»
Wir geben bei Meinungsforschungs-Instituten Millionen und Abermillionen aus, um zu erfahren, was das Volk denkt. Die Resultate sind zumeist unzuverlässig. Aber immerhin: Sie sind eine «Studie». Und «Studie» ist ein Wort, das in der Politik wie das «Amen» in der Kirche gilt.
Zugegeben? als das gelten Fasnachtszeedel nicht.
Ich glaube aber, es wäre sinnvoller, wenn unsere «Stadtväter» und Basel-Erfinder sich 72 Stunden im Jahr Zeit nehmen würden, um an der Fasnacht die Stimme des Volkes zu hören. Wir könnten uns so alle Meinungsumfragen ersparen. Und wissen spätestens am Fasnachtsdonnerstag, wo hier die Eiterbeulen sitzen.
Oder aber? und das wäre vielleicht noch wirkungsvoller? wir, das Volk, machen die 72 Fasnachtsstunden zum Alltag. Wir pfeifen auf die Obrigkeit und trommeln die Gesetze weg. Wir lassen uns nicht mehr alles bieten. Und vor allem: Wir überlassen nicht einfach alles ein paar Politikern. Sondern wir wehren uns für unsere Haut. Und diese Stadt.
Gut. Das wäre dann Anarchie. Fasnacht ist immer Anarchie. Und ein bisschen Fasnacht würde in diesem Sinne den Baslern auch das Jahr hindurch nicht schaden...
Aber das sind natürlich Tagesträume von einem, der auf der Toilette sitzt.
Und vis-à-vis hängen in herrlichsten Zeedelfarben alle diese Meinungen, die keiner hören will...

Montag, 9. März 2009