39,9 - dinne!

KLAPPE. Sven Epiney schüttelte missbilligend den Kopf: «Das ist bereits das vierte Mal, dass du mir mittendrin einpennst!» Da wusste ich: Klappe. Schnitt. Und aus mit Fasnacht 05, bevor sie überhaupt angefangen hat. Das mit Sven war am Freitag. Mittag. Das Schweizer Fernsehen drehte für seinen «Fensterplatz». Frühmorgens schon hatte sich ein leises Brummen im Schädel gemeldet. «Alcacyl!», predigte Vater sein Allerweltsrezept. «Alcacyl und heisser Zitronensaft!»

Draufhin hatte ich auch noch Magenbrennen. «Dir ists ums Bett», grinste Sven. Ich zog mich am Riemen: «So schnell geht das nicht!» Eine Stunde später lag ich flach. Vor mir drei gepackte Koffer mit Vatikan-Gewändern - hinter mir: Linda, die hysterisch durchstartete, weil sie mein Bett schon an einen drittklassigen Kreuzfahrer der Linie «Palermo-Napoli» versprochen hatte: «Und wo bittigsehr? Soll armes Max nun schlafig, wo kommen aus Hannoverig für Fasnachtlustiges mit Linda lieb?» LINDA LIEB KONNTE MICH KREUZWEISE!

Dummer Traum. Sie warf sich theatralisch vors Bett, was ihre 80-jährigen Knochen wie Castagnetten klappern liess: «MANN IST SCHON INS HAUS! Hab versteckt in Heizöl-Kammerig von Keller!» O.k. Damals habe ich alles nur noch leicht vernebelt wahrgenommen. Habe immer gedacht: So. Aus der Traum. Ein dummer Traum. Aber du träumst ihn ja jedes Jahr.

Als ich aber auch nach dem siebten Mal «in den Arm zwicken!» immer noch nicht erwachte, kam die Panik. Und ich alarmierte meine «Kinder» von der Zeitung: «Jetzt bekommt mal nicht gleich den Gack in die Hosen - der Alte liegt flach. Ihr müsst euch etwas einfallen lassen?» Zehn Minuten später riefen sie zurück: «Kein Problem - das bisschen Fasnachtsgeplapper von dir haben wir uns aufgeteilt!» «Sie vermissen mich nicht mal», sniefte ich zu meinem Vater aus den Kissen. «Ja, ja - Alcacyl hilft immer!», knipste der seinen Höhrklips wieder ein. Da hatte ich 39,9.
Natürlich könnte ich nun mit dem Zimt-und-Zucker-Spray loslegen und euch allen mal was vorjammern, wie es ist, von Weinkrämpfen geschüttelt im Bett zu zuckeln, während die Winde einem die himmelschreienden Piccolos und die Trommeldonner an die entzündeten Mittelohren wehen. «Ohne dich? ohne dich», fünfer rufts von den Kübeln. Und «selber schuld? selber schuld», trillern die Piccolos im Einklang mit Innocent, der seiner Art entsprechend reagierte: «Selber schuld? weshalb läufst du immer halbblutt in der Wohnung herum!»
Tatsache aber ist: Ich habe mich vor dem Morgestraich derart mit Medikamenten zugetörnt, dass ich erst wieder wach wurde, als Linda jaulend ans Bett stürmte: «Böses Leut haben gestiehlt an Morgigstraich Portemonnaie von armes Max mit Visa-Card.» Nun hat also nicht nur Joschka Fischer ein Visa-Problem.

Und doch live dabei. Nein - ich habe nicht tränenerstickt ins Kissen gebissen und bin auch nicht heimlich als Teddybär in der Stadt herumgeirrt, um mir den Tod zu holen. Das tut man in Geschichten. Aber nicht, wenn einem die Lokalsender die Fasnacht in die Stube tragen und du bequem vom Bett aus live dabei bist. «Was guckst du?», keucht Stephi am Telefon. Ihn hats nämlich auch genommen. Nun geben wir einander alle 30 Minuten den Programmstand durch: «Bei Heinz Margot sind eben die Waggis in die Kabine eingestiegen?» - «Ja, bei Telebasel sind jetzt d?Striggedde und?» Dann schwiegen wir beide. Nicht etwa um zu weinen. Sondern um zu schauen, was NW1 bringt.

Schliesslich Stephan: «Minus 3 Grad - die armen Fasnächtler. «Ja - scheusslich». Wieder Schweigen Dann: «Wir habens gut. So schön warm in den Federn... das dürfen wir nicht laut sagen...» DÜRFEN WIR SCHON! 39,9 dinne war eine Erfahrung der vierten Dimension. Man denkt: es wird dich zerfleischen. Und du merkst: das Alter macht dich etwas gelassener gegenüber allem. Auch gegenüber Fasnachtsfieber. Selbst wenn 39,9. Oral.

Donnerstag, 17. Februar 2005