1:0 für die Sauce

SCHLUSSPFIFF!
Na endlich. HALLELUJA. Da bin ich mir aber selber in die Arme gesunken. Und habe Freudenlieder geschmettert.
Nein.
Eine Euro ist nun mal nichts für das schönste Kind meiner Mutter.
Wer mit Ballettschuhen zur Welt kam, sieht nicht ein, weshalb einer in schlecht sitzenden Kniesocken und herumschlabbernden Gräuelhosen einem Ball nachtrippeln soll. Wozu all dieser Aufwand? Nirgendwo galts einen Schwan zu befreien, geschweige denn einen Prinzen zu küssen. Ok. Der See war da. Das war ganz am Anfang gegen die Türkei. Es gab Filet Wellington? und ich darf euch ruhig sagen, so knusprig blätterig ist mir die Kruste noch nie geraten.
Das Filet war mit handgepflücktem Oregano, millimetrig geschnippeltem Salbei und ausgenadeltem Rosmarin so zärtlich einbalsamiert worden, als wären es die Lenden des Herrn Pharao persönlich. Dann habe ich mir ein Sösslein aus Jungfeigen, glücklich geflogenem Honig und einem Spritzer der Insel-Limonen einfallen lassen. Dazu Heimgenudeltes, so dünn, wie die Sommerausgaben der Sonntagszeitungen. Und natürlich: das schöne Silber.
UND WAS TUT DIE MEUTE?
Sie stieren gebannt auf die Glotze. Schaufeln sich meine Dreisternekocherei wortlos rein. Und verschütten in ihrer Hysterie beim ersten Schuss prompt alle Sauce (JAWOLLL? DIESE SAUCE, DIE ICH AUS DEM JUS DES FLEISCHES, ETWAS GEZUPFTEM ZITRONENTHYMIAN, JUNGEM ROSENPFEFFER SOWIE EINER FLASCHE MORELLINO STUNDENLANG KONZENTRIERT HABE!). Dies alles nur weil ein gewisser Herr Hakan für die Schweiz ein Goal schiesst.
«GOOOOAL!» Das war das 1:0 der Sauce gegen das Tischtuch.
Denkt ihr euch etwa, auch nur einer hätte sich um die arme Seele gekümmert, die da mit schepperndem Putzeimer, Teppichfleckenmittel und Kopftuch Aufmerksamkeit erbetteln wollte. Das Einzige, was sie faszinierte: «So geschifft hat es noch nie? die klopfen wir bei diesem Sauwetter! HIMMELSEIDANK dass die dort unten am Bosporus nur auf Trockenrasen spielen? hähä!» Na bitte. Ich war schon immer dafür, statt der Euro 2008 die Synchronschwimm-Meisterschaften in der Schweiz durchzuführen.
«JETZT GIB MAL ENDLICH RUHE!»? brüllt Hugo genervt. Ich bin ihm mit dem Strupfer etwas zu energisch in seinem TV-Blickwinkel rumgefummelt. Dann: «SCHAU DIR EINFACH STILL DIE WADEN DER SPIELER AN. UND FREU DICH!»
Weshalb müssen Tuckis immer mit so dummen Sprüchen gefoult werden? Weder Frau noch Tucki interessieren nämlich solche Fussballerknollen. Wer noch vor drei Tagen aus gekochten Schweinswaden, die sie im Land der Euro 2008 «Gnaagi» nennen sowie kleingewürfeltem Frischgemüse und Sauergürkchen, (das im zarten Gemisch ein so farbentobendes Feuerwerk ausstrahlte, bei dem selbst van Gogh zum Pinsel gegriffen hätte)? also was ich sagen wollte: WER PROFESSIONELL SCHWEINEWADEN SÜLZT, WIRD VON HAARIGEN FUSSBALLERSCHEICHEN NICHT UNBEDINGT HEISS GEMACHT.
Kommt dazu, dass der Umgang mit Schweinewaden angenehmer ist, als derjenige mit Kickerbeinen. Kein Theater, wenn sie mal gekniffen werden. Kein Gejaule, wenn einer mit einer Gabel dreinfährt? keine Krankenbarre, obwohl sie im brodelnden Wasser abgebrüht werden.
Ich meine, nach all dem, was ich von Fussball zwischen Küche und Fernsehtischchen mitbekommen habe, frage ich mich nämlich, ob der Rubel das Einzige war, das da überhaupt rollte. Also der Ball kanns nicht gewesen sein. Der war entweder irgendwo bei den Zuschauern. Oder beim Schiedsrichter. Immer wieder wälzten sich die Protagonisten über den Rasen. Sie verdrehten die Augen wie der Hahn, wenn er die Henne besteigt? dabei hielten sie ihr Knie und sangen die «Dolores»-Arie. Ich meine: DAS IST SCHMIERE VOM FEINSTEN!
Solche Foulszenen waren dann auch immer die schönsten Momente des Spiels, weil hier der Fussball zur Oper wurde: Der angerempelte Spieler lag da wie Frau Boheme im letzten Akt. Er ging röchelnd von dieser Welt. Und stand, nachdem alle um ihn geweint hatten, auch schon wieder auf, um den Applaus einzukassieren.
NATÜRLICH SAGTE ICH NICHTS VON ALLEDEM. Ich servierte die Charlotte Russe, die ich mit hausgemachtem Himbeergelee parfümiert und mit etwas Ananasparfait verfeinert habe? dazu: der Kaffee, den auch Herr Clooney trinkt. Aber da war bereits diese Stille im Raum, welche das Unheil ankündigte. Der Regen hatte aufgehört. Die Euphorie auch.
Heute, ein Tag nach all der Euphorie werde ich die Lieben wieder mal mit einer Timbale aus frischen Erbsen an konzentrierter Minzsauce sowie einem Salat aus pflaumenweich gekochten Wachteleilein und Jungkräutern überraschen. Vielleicht gelingt es mir gar, den Service vom Fernsehtischchen wieder auf den Esstisch zu dislozieren.

PS. Soeben sehe ich: nach der «Tagesschau» kommt TATORT. Ganz klar: Spätestens beim zweiten Schuss stehts wieder 1:0 für die Sauce.

Montag, 30. Juni 2008