Von der Provinz und einem Krokodil als Tasche

Manchmal muss sich der ­Normalbürger doch fragen: JA HATS DENEN JETZT WIRKLICH AUF DIE EIER GESCHNEIT?
Mit «denen» sind die Medien gemeint. Oder eben: diejenigen, die Schlagzeilen machen.
Also, da jettet eine dunkel­häutige Talkmasterin nach Zürich. Sie ist von Tina eingeladen. Denn Tina ­feiert Hochzeit.
Am Tag danach, während Tina noch wochenflittert, will sich die Talk-Lady ihren Kater mit einer geilen Shoppingtour vertreiben.
Zürich ist berühmt für geile Shoppingtouren. Im kleinkariertesten Rahmen kann man hier ein Millionen-Schnäppchen machen. Zürich ist wie ein Puppenhausladen, in dem die Schubladen bis oben hin mit funkelnden Swarovski-Klunkern gefüllt sind.
HIER WAREN ES KEINE KLUNKER. HIER WAR ES EIN KROKODIL.
Das gefrässige Tier wurde zur Handtasche um-genietet. Und wenn Sie mich fragen: Das Täschlein hat als Krokodil netter ausgesehen. Nun ähnelte es mehr einem Schminkkoffer mit ­ unreiner Haut. ABER OKAY? ICH WERDE JA NICHT GEFRAGT.
Zurück zur schwarzen Oprah, der wunderbaren Talk-Frau, die für ihre Einfühlsamkeit zwar keinen Friedensnobelpreis, doch immerhin einige ­amerikanische Fernsehpokale eingesammelt hat. Dazu Honorare, nach denen sich die Nachrichten­sprecher im Studio Leutschenbach die neidvoll entsetzten Augen ausweinen.
Gut? Frau Winfrey war nach der langen Nacht vermutlich etwas mies drauf. Kumulierend kamen dann vielleicht noch Jetlag, Bad Hair Day, ­Hormonstörungen und Zahnfleischbluten dazu. Was weiss einer schon über die Gebrechen einer alternden Frau?
Mit all diesen miesen Vorzeichen trifft der TV-Star also auf eine gewöhnliche italienische Angestellte. Über den Alltagstag dieser Taschenverkäuferin ist nichts bekannt. Über Milliarden auf ihrem Konto auch nichts? und jetzt gabs vielleicht ein Miss-verständnis zwischen den beiden Missen. Jedenfalls: rauschender Abgang seitens Amerika. Bestürzung in Zürich. UND DIE WELTPRESSE MIT DEM BRENNPUNKT NUMMER EINS: WIE RASSISTISCH SIND DIE SCHWEIZER?
Damit wären wir wieder am Anfang und der Frage: HATS DENEN ALLEN AUF DIE EIER GESCHNEIT?
Kennt die Welt und ihr ganzer Medienzirkus keine andern Probleme?
JA KLAR? KENNT SIE!
Denn schon schrieben Tausende von Schweizer Schulkindern, angetrieben von gut meinenden Lehrerinnen und Lehrern mit dem Herzen auf dem rechten, will sagen linken Fleck: «HALLO, LIEBE OPRAH? DU DARFST KEINE KROKODILE TÖTEN!»
Und Frau Winfrey drückt Krokodiltränen raus: «Hört auf mit diesem Shit? ich bin als Tierschützerin schliesslich eine Legende. UND ES WAR DIE TASCHE VON EINEM GLÜCKLICHEN KROKODIL.»
JA BALLABALLA? ist der spanische König nicht auch ein Mitglied des WWF und ballert den Elefanten die Rüssel ab?
Es ist eben tierschützerisch ein riesiger Unterschied, ob ein kalabresischer Bauer sich drei gerupfte Spatzen mit Polenta reinzieht? oder eine milliardenschwere Talk-Frau ein mausetotes Krokodil spazieren führen will.
Natürlich haben wir simpel denkenden Dorf­bewohner aus dem nördlichen Grenzgebiet von Basel diesen Vorfall im noblen zürcherischen Downtown mit schadenfrohem Grinsen quittiert.
Bei uns wäre so etwas nie passiert. Es gibt hier nämlich keine Schaufenster, die 35 000-fränkige Krokodile im Exitus-Stadium zeigen. Das Höchste der Gemüter ist der immer bewährte Jutesack für Fr. 5.50 oder die FREITAG-Tasche mit den knie­langen Riemen dran? DOCH SO VIEL SCHÖNES NUR ZUM RUNDEN GEBURTSTAG.
Nun ist es natürlich so, dass die Touristen aus Amerika (wenn sie nicht zu einer Hochzeit, sondern zum Spass in Kloten einreisen) Zürich wegen seiner Läden aufsuchen. Es gibt kaum einen andern Grund.
Ans Rheinknie hingegen reisen die ausländischen Gäste, wenn sie ganz bewusst Kultur tanken wollen. Beispielshalber: besondere Architektur. Jazz im Bird?s Eye. Oder Picasso in verschiedenen Epochen.
Und natürlich passiert es nur selten, dass ein Saalwärter auf die Frage «wo finde ich hier denn die Picassos?» geringschätzig die Nase rümpft: «Die dürften Ihnen wohl etwas zu teuer sein, gute Frau ?»
Vera Oeri, Roche-Erbin und einst reichste Frau der Schweiz, hat immer wieder die Geschichte erzählt, wie sie als junge Frau in der Basler Freien Strasse einen Laden besucht hat und nach einem Nachthemd fragte. Die Verkäuferin zeigte ihr ein paar einfache Exemplare in Baumwolle. Schmucklos. Nicht unbedingt ein Hammer.
Vera Oeri schüttelte daraufhin lächelnd den Kopf: «Es darf schon ein bisschen aufwendiger sein?»
Die Verkäuferin habe die Roche-Erbin von oben bis unten taxiert. Und gesagt: «Gute Frau? ich glaube fast, das wäre für Sie doch etwas zu teuer?»
An dieser Stelle der Episode hat die Roche-Erbin immer wieder gelacht: «Ich habe mich bedankt. Machte rechtsumkehrt. Und verliess ohne Nachthemd den Laden.»
Vera Oeri hatte keine ­Talkshow. Sie hatte Stil. Und den kann man auch mit Milliarden nicht kaufen.
Zurück zum Krokodil. Gottlob vergisst die Welt schnell. Die Opfer in der Medienwelt wechseln rasant. Heute ist ein Staatspräsident, welcher den Veloweg propagiert und heimlich einen Ferrari brettert, im Visier. Gestern: eine Königin. Sie steht dem internatio­nalen Blauen Kreuz vor und ist mit dem Flachmann im Täschlein erwischt worden?
Immerhin? das Täschlein war von einem unglücklichen Reh.
Und nicht von einem glücklichen Krokodil?

Dienstag, 3. September 2013