Wüstenfrosch

Die Einsamkeit lässt den Atem stocken. Wüste rundum.
Flimmernde Sonne.
Manchmal eine vorbeiziehende Kamelherde.
Innocent drückt sich einen ab. Wild knipst er aus dem Autofenster heraus Beduinenzelte, gähnende Dromedare, eine einsame verdorrte Staude, die hier? Gott alleine weiss wie und weshalb? mal mitten in diesem gelbbraunen Sandstaub geblüht hat.
«Hier muss es irgendwo sein, gib Gas!», bellt Innocent seine Order durch. «Fahr einfach geradeaus.»
Wohin sollte ich sonst fahren? Die Strasse durch die syrische Wüste ist ein riesiges schwarzes Teerband. Sie führt immer geradeaus.
Kreuzungen gibt es keine. Nur einmal war da ein hölzerner Wegweiser, der nach Bagdad führte. 20 Minuten später kam das «Bagdad-Café».
UND DANN SAHEN WIR SIE. Wieder stockte der Atem. Denn da war plötzlich eine Säulen-Allee im Nichts? 2000 Meter römische Säulenstrasse. Jede der korinthischen Säulen so dick wie der Stamm eines alten Olivenbaums. Und alles so verlassen, als hätte da ein Riesen-Baby seinen Baukasten vergessen.
Irgendwo steht ein Häuschen. «CASH»? so liest man auf einem Pappkarton.
Wir stochern durch den Sand zur Hütte.
Ein Mann pennt auf einem Holzhocker.
Der Alte fährt auf, wie er uns kommen hört. Und macht zwei Strichlein in ein altes, vergilbtes Büchlein. Eintritts-Cash will er keines: «All Museums free today!», nuschelt er. Dann dürfen wir die Säulenstrasse von Afamia abmarschieren.
Wir sind mutterseelenallein. Innocent knipst und knipst. Und plötzlich wird die gespenstische Stille durch Motorengeklapper gestört.
Der Mann mit dem flatternden Halstuch hat eine Haut wie ein ausgerittener Kamelsattel.
Und ein Lächeln so falsch wie seine Ware, die er uns anbietet. Er hat den wahren Instinkt des Händlers und spürt sofort, dass mit Innocent ins Geschäft zu kommen ist. «Das ist ein uralter Frosch», flüstert er. Innocent ist Feuer und Flamme:
«Bronze. Ein Vermögen. Der Mann weiss gar nicht, was er da gefunden hat.»
«Made in China», sage ich eiskalt.
«Blödmann? du siehst immer nur das Schlechte. Der Frosch ist mindestens 2000 Jahre alt und...»
Ich bleibe auch bei 45 Grad eisig: «Dann müsste er ihn auf der Stelle abgeben. Man darf so etwas nicht behalten.»
Innocent setzt den Blick der Siebengescheiten auf: «Pssst... das merkt doch keiner.
Wir mischen ihn unter unsere Souvenirkäufe und...»
«500 Dollar», unterbricht die motorradfahrende Kameltasche unser Gespräch.
Immerhin. Der Betrag bringt Innocent auf die Erde zurück. «50 Dollar!»? fängt er zu feilschen an. Ein höhnisches Gelächter des Händlers unterbricht die Stille.
«Bring den Frosch doch in the Museum!», fauche ich.
Der Händler: «Die bezahlen mir nichts.»
«Kunststück? kein Mensch bezahlt so viel Geld für diesen Mist. Ich weiss, was sie für einer sind, es steht im Büchlein hier.» Ich wedle mit dem Reiseführer. Die Sache ist mir einfach zu dumm. Ich will die Säulenstrasse geniessen. Die Stille. Und gehe einfach weiter.
Auf der Heimfahrt halten wir im «Bagdad-Café». Der Besitzer braut uns blutroten Hibiskustee und bittet in seine gute Stube, wo er zufällig noch ein paar Souvenirartikel anzubieten hat: zwölf Dias mit Gelbstich von den Säulen in der Wüste, handgestickte Servietten, die alle ein Kamel und den Namenszug «BAGDAD CAFE» zeigen. Und dann ist da ein Tischlein mit bronzenen Figürchen? darunter 24-mal der Frosch vom rasenden Kamelsattel.
Innocent wird bleich: «How much?»? Er zeigt auf die Frösche.
«2 Dollar!» Und das Sonderangebot: alle 24 für 30 Dollar!
Meine Lieben: 25 Frösche sind in unserem Gepäck. Einer ist über 2000 Jahre alt...

Montag, 26. Oktober 2009