Wetter

Sie sitzen beim Frühstück.
Die beiden tun das jeden Morgen. Seit 45 Jahren: Scheibletten... Du-darfst-Trutenschinken... Aufback-Weggli... hausgemachte Erdbeer-Konfitüre. Denn diese Konfitüre macht am wenigsten Mühe. ER TRÄUMT SEIT JAHREN VON KIRSCHEN-KONFITÜRE. ES BLEIBT BEIM TRAUM. Nun streicht er sich zünftig von dieser Margarine, die laut Werbedeckel einem Herzinfarkt vorbeugen soll, aufs Brötchen.
Sie schüttelt unwillig den Kopf: «Nicht zu viel, Max.»
Da er den Hörapparat nie vor den Mittagsnachrichten einschaltet, buttert er gleich nochmals nach.
Endlich bruddelt er etwas, damit etwas gesagt ist: «...schhhtt...tter...zu...geben!» Sie nervt sich schon wieder. Immer muss er mit vollem Mund reden.
Er schluckt runter. Spült mit dem Filterkaffee nach. Und schaut seine Frau an: «Es scheint ein Gewitter zu geben!»
Sie: «Blödsinn. Sowohl auf dem Lokalsender als auch die Zürcher haben einen Sonnentag angekündigt.»
Er (angelt sich ein neues Brötchen): «Weiss doch jeder, dass diese Meteo-Pfeifen mit ihren Prognosen immer arg danebenhauen...»
Sie (unwillig): «Das ist bereits das dritte Brötchen, Max!»
Er: «... überhaupt dieses Getue um das Wetter. Jede zweite Stunde kommt so eine Hoch-Fee-Tussi und erklärt uns das nächste Tief. Früher haben sie noch ein anständiges Wetter gemacht, ohne dass dieses alle zwei Stunden von den Medien angekündigt werden musste und...»
Sie: «JETZT NIMM NICHT SO VIEL MARGARINE, MAX!»
Er schaut genervt auf: «Ich nehme so viel ich will.»
Elsie versucht die drohenden Wolken zu vertreiben, indem sie ihr Schönwetter-Credo zum Tag abgibt: «Ich meine es doch nur gut...»
Er hört nichts (Apparat und Seelenzustand noch immer auf «off»). Merkt aber, dass Elsie zu ihm gesprochen hat: «Früher haben wir Onkel Hans gefragt, ob sein Knie Mühe machte. Wenn ja? gabs Regen!»
Sie (im Mahnfinger-Ton): «Aber wir sind nicht früher, lieber Max. Die Forschung hat uns weitergebracht... Die meteorologischen Erkenntnisse sind anders als damals, wo die Wetterregeln nach dem Bienenflug gingen... WIR LEBEN IM 21. JAHRHUNDERT, HIMMEL NOCHMAL! UND DESHALB WIRD ES HEUTE EIN HERRLICHER SONNENTAG WERDEN!»
Er schaut sie traurig an: «Mein Knie schmerzt...»
Sie triumphierend: «BITTE? ISS NOCH MEHR BRÖTCHEN! Du bist einfach zu schwer für dein Knie. Doktor Zellweger hat es auch gesagt.»
Er fährt unbeirrt vor: «... und wenn mein Knie schmerzt, gibt es ein Gewitter. Das war schon bei Onkel Hans immer so und...»
Sie steht demonstrativ auf. Und setzt sich in der Stube vor die Glotze. Die Wetterfee, etwas übernächtigt von der letzten Party, verkündet vor der Sonnenwand: «... in der ganzen Schweiz herrliches Juni-Wetter. Und...»
Zehn Minuten später explodiert der Himmel. Donner und Blitz. Dann schüttet es in Strömen.
«Siehst du...», ruft Max triumphierend aus der Küche.
Sie beisst die Zähne zusammen: «Immer muss er das letzte Wort haben!»
«WAS ISSS...?» (Er kaut am vierten Brötchen!)
Sie: «Der Hugentobler vom dritten Stock hat ein neues Kniegelenk!» Stille.
Sie bohrt nach: «Vielleicht solltest du eben auch...» Stille.
Nur der Regen, der an die Scheiben prasselt. Und die andere Wetterfee auf dem Lokalsender, die ebenfalls einen wunderschönen Sonnentag verspricht.
«Schauen die in ihren Studios eigentlich nie aus dem Fenster?!», wettert Elsie.
«Mein Knie bleibt!», sagt Max. Holt das letzte Brötchen vom Teller. Und bruddelt: «Wer soll mir sonst sagen, wie das Wetter wird?»

Montag, 14. Juni 2010