Otto S. kochte.
Er warf sich einen Betablocker ein. Zählte bis hundert. Und ohhhmte mit geschlossenen Augen ? so, wie es ihm Mental-Trainerin Surinama («frohe Sonne») eingehaucht hatte: «Augen schliessen ?und dem Rauschen des silbernen Bächleins lauschen?»
Da war nichts mit Bächlein. Da war nur: «RÄDDDÄDDDÄDDDÄRRRR.»
Sie bauten.
Seit vier Monaten rüttelten sie nun schon Ottos Strasse auf. Schlimmer. Sie legten auch Ottos Nerven offen.
Vor sechs Monaten hatten sie eben erst alles zugeteert. Damals war es die Kanalisation gewesen. Und bevor sie den Asphalt zur Kanalisation aufrissen, hatte man zwei Wochen vorher alle Gräben wegen des Kabelfernsehens zugepflastert.
Jetzt wieder: «RÄDDDÄDDDDÄDDDÄÄÄRRRRR.»
ES HÖRTE N I E AUF.
Die Bauerei in seiner Strasse war wie dieses Ungeheuer, dessen Namen Otto nie wusste, das aber viele Köpfe hatte. War ein Kopf ab, wuchsen drei neue nach. Hier wucherte es andersrum: War ein Loch zu ? wurden drei neue aufgerissen!
Otto S. öffnete das Fenster: «ARSCHLÖCHER! ALLES ARSCHLÖCHER!»
Das Rädddädddäddägedäääddder übertönte sein Gebrüll barmherzig. Und ersparte ihm den Vorwurf der Beamtenbeleidigung.
Seit acht Jahren ist Otto S. Witwer. Bald schon lernte er, wie man mit Mikrowelle ein gefrorenes Fixfertig-Schlemmerfilet samt Knoblauchsauce tellerfertig weich gart. Nun vermisste er nicht einmal mehr Ehefrau Huldi.
Um abends den Mikrowellenofen zu entlasten, hat Otto auf Flüssignahrung umgestellt. Zuerst Merlot. Vier, fünf Glas. Dann zwei, drei Grappa. Und eine Handvoll Erdnüsse.
Der Weg zu seiner Stammbeiz waren acht zackige Minuten (hin) und 20 schwankende Minuten (zurück). Am Stammtisch verbesserte er mit seinen alten Jass-Kumpanen die Welt: «Jetzt haben diese Armleuchter die Strasse schon wieder aufgebohrt? denen hats doch ins Gehirn geschissen?»
«Hemmm? hemmm? hemmm», nickten sie am Tisch.
«Keine Hand weiss beim Staat, was die andere tut. Kein Amt redet mit dem nächsten! Chaos total?»
«Hemmm?hemmm?hemmm», brummte die Runde.
«Alles ist eine Baustelle, sage ich euch? nur noch Löcher? Löcher? Löcher. Es sieht aus wie im Krieg. Kürzlich wäre ich fast in eine Baugrube gefallen, weil irgendwelche Halbstarken die Absperrbretter weggeschleppt haben und?»
«Hemmm? hemmm? hemmm?»
«Es ist lebensgefährlich? aber genau d a s wollen die doch: AB IN DIE GRUBE ? Hurra: schon wieder ein Alter exitus und eine AHV-Rente weniger? Svetla, noch einen Grappa!!»
Nach dem sechsten Glas wusste Otto S., was zu tun war: Er würde diesen verfickten Beamtenärschen einen Brief schreiben, der sich gewaschen hatte. MIT KOPIE AN DIE LESERBRIEFE! Jawollll! Man ratterte nicht ungestraft auf seinen Nerven herum und: «? Svetla, noch einen Grappa!»
Es war ein Grappa zu viel gewesen. Als er heimschwankte und über das gelbe Brett zur Haustüre torkelte, kippte er ins tiefe Loch. Und brach sich an der neuen Abwasserleitung das Genick.
So kam Otto S. nicht mehr dazu, die Beamten schriftlich darauf hinzuweisen, dass sie Armleuchter seien?
Man schaufelte im Leben von Otto S. zum letzten Mal eine Grube. Und legte ihn kremiert ins Kleingrab zu seiner Ehefrau Huldi. Seine AHV wurde gelöscht.
(Mit dem ersparten Rentengeld eröffnete der Staat in einer der wenigen unbebauten Strassen eine neue Baustelle.)
Wenig Erbauliches...
Montag, 15. Juli 2013