«Mammmmmi!»
Elsie zuckte zusammen.
Sie zuckte immer, wenn er sie «MAMMI» rief. Denn immerhin hatte seine Mutter bereits vor 24 Jahren ins Gras gebissen.
Mammi war diese Art von Frau gewesen, welche der Schwiegertochter den lieben langen Tag erklären konnte, dass ihr Waltilein Knoblauch nur mühsam verdaue oder Fische lediglich in Stäbchenform runterschlucke. «... UND NIE ROSINEN! Die spuckt er gleich aus. Waltilein hat schon als Kind eine Rosinen-Phobie gehabt!»
Nun waren sie 30 Jahre verheiratet. Und in Elsie kam immer mal der böse Gedanke auf, es seien 30 Jahre zu viel.
Wie jetzt, wo er mit einer leichten Grippe im Bett lag. Und schon zum dritten Mal das Testament umschrieb.
«Männer sind Weicheier!», hatte sie Ilse am Telefon getröstet. «Die sollten mal Kinder bekommen...»
«MAMMI!»
Elsie zählte auf zehn. Dann ging sie ins Schlafzimmer, wo ihr Alter stöhnend im Frischbezogenen lag.
Mit geschlossenen Augen flüsterte das gerötete Köpfchen: «Mir ist so flau... alles dreht sich... hier ist mein Testament!» Mit zittrigen Fingern überreichte er Elsie einen Wisch Papier: «... ich denke, ein leichter Griessbrei mit etwas Rahm wäre jetzt genau das Richtige.»
Sie schaute auf den Fiebermesser, der neben der Tasse Lindenblütentee lag: 37,2. «Du hast ja kaum Temperatur», knurrte sie. «... vielleicht mit einer Prise Vanille drin!», hauchte Walti. Elsie kochte. In ihren Ehejahren hatte es keine Krankentage geben dürfen. Sie hatte immer funktionieren müssen: für die Kinder. Für Walti. Für die Organisation der Familienfeiern.
Sie erinnerte sich, wie sie das Konfirmationsessen von Nico, dem Jüngsten, trotz Bronchitis mit heiserem Husten und mit Keuchen auf den Tisch gebracht hatte. Und Walter den Kartoffelstock mit einem vorwurfsvollen Blick kommentierte: «... zu wenig Muskat, Mammi!»
Sie hatte Weihnachtsbäume trotz starker Menstruationsschmerzen mit Goldengelchen geschmückt und während der Kenia-Ferien
17 Tage lang kein Wort von ihrem pochenden Eiterzahn gesagt, nur um der Familie den Urlaub nicht zu vergällen. UND JETZT LAG DIESER WARMDUSCHER MIT 37,2 IM KISSEN. SPRACH VOM STERBEN. UND WOLLTE GRIESSBREI MIT VANILLE!
«Es liegt an den Müttern...», hatte Ilse am Telefon weiter doziert, «SIE VERWÖHNEN IHRE BUBEN ZU STARK!»
Dann hatte Elsie hastig aufhängen müssen, weil sie auf dem brummenden Handy die Nummer ihres Jüngsten aufleuchten sah.
«Nico?!»
«MAMMI! Kannst du mir mein Valentino-Hemd auf bügeln...?»
Nicos Frau war eine dieser emanzipierten Dinger, welche die Kleinen in einem privaten Kindergarten ablegten. Und mit dem 60-Prozent-Juristinnen-Job das Geld für die Krippe verdiente. KLAR, DASS DA FÜR DAS BÜGELN EINES VALENTINO-HEMDS KEINE ZEIT BLIEB? DER ARME JUNGE!
Elsie ging brummelnd in die Küche: Wenn sie nochmals 20 wäre, würde sie alles anders machen. Ein Studium... keine feste Beziehung... nur einen starken Hund zur Seite.
Sie brachte den Brei an Waltis Bett und eilte hastig an die Türe, weil sie Nico hörte. Er brachte sein Hemd zum Bügeln.
«MAMMMMI!»? rief es jetzt erbost aus dem Schlafzimmer, «MAMMI? IN DIESEM BREI SIND ROSINEN DRIN!»
Sie lächelte grimmig: «ACH JA?» Dann bügelte sie Nicos Hemd.
