Traugotts Tod

Als Traugott in mein Leben trat, wurde alles anders.
Ich hätte am liebsten schon am ersten Tag Suppe aus ihm gemacht.
Aber: versprochen ist versprochen.
Ich habe Evchen nämlich mit gekreuzten Fingern schwören müssen auf Traugott gut aufzupassen.
Traugott ist eine Testudo. Das tönt vornehmer als das, was es ist. Denn Traugottchen ist nichts anderes als eine total versaute griechische Landschildkröte, die es auf meine eleganten Rehleder-Mokassins abgesehen hat. Erst beisst Traugott die Schuhkuppe durch. Dann bummst er den Schlüpfer im Hoppelgang.
«Traugott hat ein sehr aktives Sexleben», hat mir Evchen versichert, als sie ihn mir in einer Schuhschachtel (AUSGERECHNET!) brachte. «Um ehrlich zu sein - er wacht auf und denkt an nichts anderes!» Traugottchen hat mich im ersten Moment sehr an meinen lieben Vater erinnert. Ich meine: auch dieser faltige Hals, die listigen Äuglein und die leicht krummen Beine.

«Schildkröten kommen schon alt auf die Welt» dozierte Evchen. «Aber sie altern nicht. Die Kosmetikindustrie jagt hinter ihren Genen her, um herauszufinden, wie die das machen, 150 Jahre lang wie Marika Röck auszusehen und doch rund um die Uhr rammlig drauf zu sein...»
Na danke. Ich möchte mit 35 nicht wie eine Testudo aussehen. Rammel hin oder her.
«Ich zeig dir mal was» - verkündete Evchen stolz. Sie pfiff durch die Finger. Drei Sekunden später robbte Traugottchen an. Auf seinem alten Gesicht las ich das lüsterne Lächeln des Kenners. Evchen belohnte es mit einem Salatblatt: «Er kennt mich», strahlte sie.
Naja - jedenfalls ist Traugott der einzige Mann, der bei Eva auf Pfiff funktioniert.
Und nun geht Evchen also auf die Insel Rhodos - und Traugott zu mir in die Ferien: «Nur trockenes Grünfutter - Salat oder so. Keine Gurken. Keine Tomaten. Sonst kackt er sich wund.»
«Wie alt ist der Mann?», frage ich Eva.
«Er dürfte rund um die 80 sein - aber Schildkröten werden viel, viel älter. Traugott wird mich überleben!»
«DAS WIRD ER NICHT», knurrte Innocent, als die Testudo sein drittes paar Golfer durchgekaut hatte. «WAS HAT DIESES VIEH FÜR EINE SCHUHMACKE!».
«Andere kaufen Elektrobohrer...», versuchte ich Traugottchen zu verteidigen. Aber bei Innocent war er künftig untendurch.
Als ich die Testudo exitus neben Gartenzwerg «Linus 1» liegen sah, war das dann doch ein Schock. WESHALB MUSSTE DIESER 80-JÄHRIGE TRAUGOTT AUSGERECHNET BEI MIR ABKRÖTEN?
«Evchen wird mich hassen», schluchzte ich. Innocent untersuchte das tote Tier: «Vermutlich wars ein Hitzschlag - man rammelt bei 45 Grad Ozonsonne nicht schlaglos drei paar Schuhe durch!»
Mit bebendem Herzen haben wir Evchen aus Rhodos zurückerwartet. In unserm Garten wartete Traugottchen 2. Aber das wusste Evchen nicht. Gottlob haben wir ein ähnliches Exemplar in der Tierhandlung gefunden - Schandpreis: 250 Franken! Muss sich ja keiner wundern, dass niemand mehr Schildkrötensuppe isst.
«War er brav?» erkundigte sich Eva und schob auch schon die Finger in den Mund.
«Jetzt merkt sies» - flüsterte ich Innocent zu.
Doch siehe da: auf den Pfiff hin, zeigte sich Traugott der Zweite innert Windeseile vor seiner neuen Herrin.
«Mein Traugottchen», jubelte diese.
Wir liessen sie im Glauben.

Montag, 4. Juli 2005