Sneakers

Elsie trägt sie, unverdrossen.
Auch Hugo will nicht mehr ohne sein. Seit er sie trägt, hat er diesen federndenden Schritt, der vielen Rentnern so eigen geworden ist.
Lucie ist erst 10. Aber auch Lucie hat sie sich auf die Wunschliste gesetzt. Von Nike. Die ganze Klasse hat die von Nike.
ICH HABE SIE NICHT.
Das mag ein modischer Fehler sein. Aber für mein ästhetisches Empfinden ist es korrekt so.
Ich weiss nicht, woher diese Welle von Turnschuhen und Sneakers angerollt kommt. Ich weiss nur, dass es mich grün nervt, wenn ich in Speisesälen von 5-Sterne-Hotels die Reisegruppen fussum in Turnschuhen zum Buffet sneakern sehe.
RAUCHEN VERBOTEN.
Nach Gummischweiss dampfende Turnschuhe sind es nicht.
Da Schreiber bekanntlich nichts anderes zu tun haben, habe ich mich in die Fussgängerzone gesetzt. Und Statistik geführt. Ohne Statistik geht heute nichts - genau wie ohne Sneakers. Oder Turnschuhe.
Meine verdienstvolle Erfassung und deren Auswertung haben ergeben, dass von 100 männlichen und weiblichen Passanten, 63 beim Turnschuh Fuss gefasst haben. Als ich eine Dame mit den Bleistiftabsätzen daherstöckeln sah, hätte ich vor Freude schreien können. Vermutlich hätte die Dame auch gern geschrien - ihr Fuss sank steil wie eine Felswand ins Leder. Und ich wunderte mich, wie sie sich auf 20 Zentimetern Dünnrohr so pfeilgerade halten konnte. Sie würdigte mich keines Blickes. Stocherte vorbei. Doch ich hörte den verzweifelten Schrei des Hallux, sowie seiner eingequetschten Zehenschwestern daneben.
Hallux und Zehenquetschung sind bei Turnschuhen selten. Putzmaterial auch. Was diese Sneakers und Turnschuhe nämlich alle gemeinsam haben: sie sehen aus, als wären sie von einer Kuh wiedergekäut und dann ausgespuckt worden. Ich meine: es fehlt ihnen der Glanz des Wichsers. Denn alles ist nur fadenscheiniger Stoff und von diesem Gummi, auf dem auch ein Traktor durch die Äcker pflügt.
Die einzige Stilvariante besteht in der Bindung der Schnürsenkel. Die jüngern Generationen lassen alles offen - die ältern nesteln sich die Kreuzschnürrung so locker, dass sie immer wieder in die Schlappen reinschlurbben können, ohne sich mühsam bücken zu müssen.
Vermutlich geht meine Aversion gegen Turnschuhe in jene unselige Zeit zurück, als mein Turnlehrer Maag mich an die Stange brüllte: «Los Hammel - rauf!»
Allgemeiens Kichern.
Denn klettern Sie mal die Stange mit Ballettschuhen hoch.
Schon damals habe ich nur mit Ballettschuhen geturnt. Aus rein ästhetischen Gründen. Ballettschuhe sind mit Satin umwoben - und unsereiner war schon immer näher bei der Kunstseide gebaut.
Bei Wikipedia lese ich: «Normale Sneaker bieten im Vergleich zu Lederhalbschuhen ein wesentlich schlechteres Schuhklima (Schweissfüsse!). Die daraus folgende Geruchsproblematik wird mit speziellen Schuhdeos zu beseitigen versucht.
SCHUHDERHAFT!
Wann kommt die Zeit wieder, wo sich Kinder ihr Sackgeld noch mit Wichse, Lappen, Bürste und Schuhputzen aufpolieren können?
Und wie soll die ergreifende Erfolgsstory «Vom Schuhputzer zum Milliardär» geschrieben werden, wenn die Welt nur aus Sneakers besteht?
Es sei denn, der Schuhputzer habe sich beruflich anders orientiert.
Und die Sneakers erfunden.

Montag, 16. Oktober 2006