Natürlich ändert sich alles. Auch Weihnachten. Die Feier. Und das Essen drum rum. Die Zeit ist nicht aufzuhalten. Und das chinesische Fondue auch nicht.
Früher wars klar: Schüüfeli auf Bohnen. Zumindest in den Familien mit dem Durschnittshaushaltsbudget.
Meine Grossmutter (die vornehme Seite) hatte noch das, was man in Basel «Dienschte» nannte. Am Heiligen Abend war im Haus eh der Teufel los. Schon früh wurden Geschenke geliefert, Fresskörbe abgegeben, Blumenarrangements (meistens Schalen mit Tannen und weissen Rosen oder Christanemonen) ins Haus geschickt.
Um die Küche und die Angestellten ein wenig zu entlasten («Die haben an diesem Tag schon so viel um die Ohren!») wurde beim Metzger ein «Schungge im Teig» bestellt. Vorher gabs die obligaten «Brieh» (das war eine ziemlich dünne Suppenfleisch-Bouillon und herumschwimmende Flädli in Sternenform drin). Und zum Dessert den «Ruufekopf», eine riesige Glacekugel («Eisbombe», hiess das). Die Glacebombe, die um neun Uhr abends von den Spillmann-Confiseuren persönlich in einem mit Eisklötzen ausgefütterten Lederkoffer geliefert wurde, erhielt in der Küche von den Herren Konditoren noch den letzten Schliff aus geschlagenem Rahmspitzen. Für uns Kinder war die Eiskugel natürlich das Höchste? «megacool», würden die Kleinen heute sagen. Anfangs der Fünfzigerjahre waren Glaces in privaten Häusern noch ein seltener Luxus (es gab kaum Eiskästen). Sie wurden nur zu ganz speziellen Anlässen (etwa nach einer Mandeloperation, an Verlobungen, Geburtstagsfeiern oder eben an Weihnachten) aufgetischt.
Ganz anders sah die Weihnachtsfeier bei meiner Grossmutter (Vaterseite) aus. Sie hatte keine Angestellten. Sie gehörte als Putzfrau selber in diese Kategorie. Und dennoch waren es ausgerechnet die Feiern bei ihr, die das Fest für mich stets zum unvergesslichen Zauber-Moment machte.
Ganz abgesehen davon, dass der Geschenkberg bei der Kembserweg-Omi etwa zehn Mal grösser war, als bei der andern Grossmutter («Einmal im Jahr wollen wir doch auf den Putz hauen? das muss einfach drinliegen.»), machte die Omi aus allem ein wunderbares Geheimnis: Wir durften in der 2. Adventswoche den Wunschzettel fürs Christkind auf die Fenstersims legen. Am andern Morgen war er weg? dafür lagen dort zwei Weihnachtsgutzi und ein Gütschlein Glimmer (Psychologen sagen, das sei die Ursache meiner Glimmersucht? die Flucht in die Kindheit).
Schon eine Woche vor dem Heiligen Abend schloss die Omi die Stubentüre ab. Und tat geheimnisvoll («Das Christkind hat darin zu tun.»). Das Schlüsselloch war mit Wachs verklebt. Und manchmal fanden wir auf dem Boden einen Streifen Engelshaar («Oh? den muss ein Engel hier verloren haben.»).
Wenn wir dann am Weihnachtstag die Wohnung am Kembserweg betraten, schlug uns schon von Weitem der Duft von geräuchertem Schüüfeli entgegen. Schüüfeli auf Bohnen war Tradition. Und obwohl ich das Ganze nicht besonders gerne ass, so war dies eben Weihnachten. Und gehörte dazu, wie Omis «brennti Creme» auf der «Schneeballe» schwammen, weisse Eischneekugeln, Iles flottantes eigentlich, die sie immer mit fast schwarz gebrannten Zuckerfäden umwickelte.
Mutter hat dann die Tradition mit dem Schüüfeli von ihrer Schwiegermutter übernommen. Und als ich sie einmal löcherte doch etwas anderes auf den Tisch zu bringen? damals erlebte Fondue bourguignon als Weihnachtsmenü eine kurze Hausse? schüttelte sie energisch den Kopf. «Ja denkst du denn, ich sei der Schüüfeli-Typ?! Nein mein Lieber? wir tuns beide für deinen Vater. Er ists so gewohnt. Und für ihn wäre es keine Weihnacht, wenn ich ihm nicht das Schüüfeli seiner Mutter auftischen würde...»
Als Mutters Platz am Tisch an Weihnachten erstmals leer blieb (und damals habe ich begriffen, dass für Menschen, die jemanden aus ihrer nächsten Umgebung verlieren, Weihnachten auch ein schmerzliches Fest sein kann), als Mutter nicht mehr da war, schwankte ich einen Augenblick, ob ich nicht auch zu dieser neuen chinesischen Fondue-Welle überschwenken sollte.
Aber dann dachte ich an meinen Vater. Und legte das Schüüfeli auf Bohnen.
Es gab auch ohne Mutter viele Weihnachten lang: Schüüfeli auf Bohnen.
Etwa fünf Jahre bevor dann auch mein Vater diese Welt verliess, rief er mich an einem Adventmorgen an.
«Du machst doch wieder das Weihnachtsessen für die Familie?»
«Ja klar.»
«Was gibts denn?»
«Wie immer? Schüüfeli auf Bohnen...»
PAUSE.
Dann: «Aha.»
PAUSE.
Ich. «Ja was ist? Etwas nicht recht??»
PAUSE.
«Also? könntest du nicht einmal etwas anderes...»
«JA WIR MACHEN DAS DOCH NUR FÜR DICH!? KEINER IN DER FAMILIE MAG SCHÜÜFELI AUF BOHNEN UND...»
Da hat mein Vater gehüstelt.
«Ich will dir mal etwas sagen? ich habe Schüüfeli auf Bohnen nie gerne gehabt. Aber für meine und auch deine Mutter wäre es keine Weihnacht gewesen, wenn sie nicht Schüüfeli auf Bohnen hätte machen können... deshalb habe ich immer geschwiegen!»
Seither: Kalbshaxe und Stock!
Schüüfeli auf Bohnen
Montag, 15. Dezember 2008