Schlüssel-Erlebnis

Linus schob den letzten Paella-Bissen in den Mund.
Dann schaute er wehmütig aufs Meer: JA? ES WAREN PRÄCHTIGE TAGE GEWESEN! Sonne, Hotel, Nightlife? alles hatte gestimmt. Zuckerwattenleben eben.
Nun wartete wieder der elefantengraue Alltag als Sozialarbeiter. Es wartete seine Putzhilfe Müller, welche während der zwei Ferienwochen für die Geranien zuständig war. UND ES WARTETE DAS NEUE AUTO.
Linus hatte das frisch erstandene VW-Cabrio auf dem Langzeit-Parkfeld beim Flughafen abgestellt. So quasi als motorisches Seelen-Zückerchen, das ihm das schwarze Ferienende gleich bei der Landung zur Begrüssung etwas aufhellen sollte?
Linus rief den Kellner. Es war ein guter Entscheid gewesen, mit einer Meeresblick-Paella den Schlusspunkt zu setzen? auch wenn ihn am Nachbartisch das turtelnde Paar mit dem bayerischen Akzent zünftig auf die Eier gegangen war. Typische Flitterwöchner. Unkontrolliert. Und nach der dritten Sangria bereits voll auf Flash. «ZWEI BAYERISCHE LEDERÄRSCHE VERMIESEN MIR DEN FERIENSCHLUSS!», hatte Linus als SMS an seinen Freund durchgegeben: «HEMMUNGSLOSE PFEIFEN? TYPISCH DEUTSCH!»
Er gab ein grosszügiges Trinkgeld. Fischte aus dem Rucksack den Schlüssel für den Mietwagen. Und ging auf den Parkplatz: In einer Stunde würde er am Flughafen das Auto abgeben? in vier Stunden war er wieder in der Schweiz. DIE WELT WAR IN DEN LETZTEN JAHREN ENGER ZUSAMMENGERÜCKT.
Er drückte auf den Schlüssel. Wartete darauf, dass der gemietete Toyota ihm fröhlich entgegenblinzeln würde. Aber nichts blinzelte. Es tat sich überhaupt nichts.
Linus drückte genervt nochmals den Schlüssel durch.
TOTE HOSE. Und «VERDAMMICH!», brüllte er nun los. «ICH MUSS IN EINER STUNDE AUF DEM FLUGHAFEN SEIN!»
Das Auto liessen solche unkontrollierte Ausbrüche völlig kalt. Es blinkte auch nicht, als Linus mit den Fäusten darauf herumhämmerte. Er konnte von aussen das Mäppchen mit den Unterlagen zum Mietwagen sehen. Aber eben: VON AUSSEN. Und so blieb für ihn die rettende Nummer des Notfalldienstes im wahrsten Sinne des Wortes: verschlossen.
«Leck mich am Arsch!», heulte nun Linus auf.
«Konn-y helfen??»? die bayerische Turteltaube wackelte auf ihn zu. Linus taxierte den Mann in der Lederhose. Vermutete einen Pegel von mindestens sieben Sangria. Und «Hosch kaa Schmolz mehr?», kicherte die Trachtentussi daneben. «? d Botterie isch wohl aabigloffen?»
Der Bayer klopfte Linus nun auf die Schulter: «SCHÄÄDEL HOCH? y bi ean Automechooniker. Dai Freund und Retter?gibsch mer mool den Schlüssel!»
Nun drückte die Sangria-Pflaume auf dem Ding herum. Und konstatierte bald einmal: «Naa? da geht gor nix?»
Schliesslich grinste er Linus an: «Hoscht daahaam a VW-Schlitten?»
Linus nickte perplex.
«Juu», hickste da der Lederbehoste. «Dös hob y denkt? des doo isch nämmlig a Schlüssel für a VW-Büx?»
Hastig öffnete Linus den Rucksack. UND DA WAR ER? DER SCHLÜSSEL ZU SEINEM GEMIETETEN TOYOTA.
So erleichtert war er nur noch gewesen, als er damals nach dem dritten Anlauf die Fahrprüfung doch noch geschafft hatte.
Er umarmte den Bayern: «Vielen, vielen Dank?es geht nichts über deutsche Gründlichkeit.»? Dann jagte er in Richtung Barcelona-Airport davon.
Das bayerische Pärchen verschickte am Abend eine SMS an die Freunde: «T R A U M F E R I E N. KOPFLOSEN KUHBAUERN VOR ZUSAMMENBRUCH GERETTET? UNKONTROLLIERTER DEPP. TYPISCH SCHWEIZER!»

Montag, 26. August 2013