Schlüssel-Erlebnis

Ich zielte auf die Fliege. Sie war in die «Laufener»-Pissoirschüssel eintätowiert.
Da spürte ich ihn neben mir. Und dachte: «Jetzt krieg ich den Gong: Das ist doch der Schily!»
Schily zielte auch.
Nun steht man ja nicht jeden Tag Schüssel an Schüssel neben einem pinkelnden Ex-Staatsminister. Und es ist mir wirklich noch nie passiert, obwohl ja jeder mal muss. Und alle sollten.
Aber der Fussball bringt eben doch die seltsamsten Menschen zusammen.
Hier also: Schily. Und mich.
Es war so, dass mich Arthur, der ja als exotischer Wurz im wilden Beet der VIP-Pflänzchen wuchert, in diesen Promi-Zirkus reingezogen hat. Vorher wird einer sieben Mal von bodygemuskelten Männern aufs angenehmste abgetastet und mit der Bemerkung auf die Piste geschickt: «Es ist recht...»
Eine Beleidigung das! DENN BEI MIR IST ES MEHR ALS RECHT.
In diesem Raum, wo die Sicherheitsbeamten untereinander Blicke austauschen wie Kindergärtner Panini-Bildchen, ist Frau Merkel einfach nur «Angi». Und der Beckenbauer «Beggi».
Jeder von ihnen hat Anrecht auf einen Muskelmann - diese erinnern stets ein bisschen an die bodygebildetere Version von Frank Sinatra.
Aber zurück an diese Schüsseln - diese so weiss gekachelt wie Drittzähne in Miami-Beach.
Schily also knübelnd neben mir. Und ich erschlagen vom Augenblick - denn was sage ich zu einem pinkelnden Minister, der nun alles rauswurstelt und seinen Schatten auf meine Fliege wirft. Betont unbetont guckt er zur Decke, wo es nichts, aber auch gar nichts zu sehen gibt.
Natürlich drehe ich mich nicht um wie in dem Witz.
Nein.
Ich denke nur: Warum kommt denn keiner und erkennt diesen historischen Moment: Schily. Ich. Und die Fliegen.
Meine Ganglien schlagen Purzelbäume: Womit könnte ich den Minister, bevor er fertig ist, in ein Gespräch ziehen? Etwa: «Angi auch schon angekickt?»
DOCH TEUFEL - MIR FÄLLT EINFACH NICHTS EIN.
NUR: ER IST kleiner, ALS ICH ES VERMUTET HABE.
Herr Schily gibt sich nun einen Ruck. Dann räumt er zusammen.
Ich tue es ihm gleich. Synchron-Räumung quasi.
Ein kleiner Schritt zurück - und schon sprudelt automatisch die Spüle los. Das Wasser rinselt über die Fliege, welche die Laufener da ins Kachelweiss stylisiert haben. Geräuschvolles Gurgeln und Schnorcheln setzen diesem unvergesslichen Moment ein prosaisches Ende.
Nun wage ich einen Blick zum Ex-Minister. Er wirkt jetzt erlöst. Entspannt. Locker.
Freundlich lächelt er seinem Spiegelbild zu, flattert mit den Händen kurz unter dem Wasserstrahl und lässt es warm darüber föhnen.
Einen Moment zögert er vor der Türe.
Vielleicht möchte er mir etwas sagen. Kann ja sein, dass er dort oben an der Decke doch etwas entdeckt hat? Wanzen? Ameisen? Ein Lichtblick...
Ich warte gespannt. Doch dann gibt er der Türe einen Stoss.
Draussen erwartet ihn die hochsichere Welt mit den muskulösen Abwehrkillern. Hier vor der Schüssel aber war Herr Schily für einen kurzen Augenblick ungeschützt. Grün und natür quasi. Aber dennoch entspannt.
Fast möchte man sagen: sprühend.
Vor der Fliege.
Neben mir.

Montag, 10. Juli 2006