Pfeifender Hansi

«Er wird alt», dachte Irma.
Hans war eingenickt. Und dies bei seinem Lieblingsessen: Kaiserschmarren.
Es passierte immer öfter, dass Hans jetzt mitten im Alltag einpennte.
Peinlich wars, als der Tramführer ihn damals an der Endstation wachrütteln musste. Und er im ersten Augenblick gar nicht wusste, wo er war. Er hatte so schön geträumt? von seiner Arbeitswelt, wo er einst 130 Verkäuferinnen unter sich hatte.
«Unter sich» ist gut, kicherte Hans. Und schwelgte in Erinnerungen. Es war eine Zeit, als man einer Frau noch ein anerkennendes Wort zurufen durfte: «Gut Holz vor der Hütte!» oder «Geiler Arsch!»? Letzteres flüsterten die Männer allerdings nur unter sich. Aber doch immer so laut, dass es der Rest vom «Geilen Arsch» hören konnte.
Frauen waren zur Zeit von Hans nicht zimperlich. Sie schüttelten ihre Zeigefinger: «zzzz? aber, aber Herr Tschümperli!»
Richtig eingeschnappt war keine? allerhöchstens solche, bei denen kein Kommentar abging, weil ihnen das Holz vor der Hütte fehlte.
Einige Male hatte Hans ein Motelzimmer gemietet. Bei Irma faselte er etwas von «Brainstorming». Oder «Meetings». Die Begriffe waren von Amerika inspiriert und neu.
Nur das Hotelzimmer blieb stets das alte. 120 x 200 Doppelbett. Verblichene Vorhänge. Braunschwarze Zigaretten-Brandlöcher im orangefarbenen Spannteppich. Und eine Klimaanlage, die noch nie funktioniert hatte.
Manchmal, wenn die Sache sich zu seiner Befriedigung erledigt hatte und Hans sich von der Mitarbeiterin, die unter ihm war, bei einem «Drink» verabschiedete (kein Cüpli, sondern Cynar oder Martini? Cüpli hielt er für das Getränk der Huren)? manchmal also passierte es, dass Hans in der schummrigen Bar auf Arbeitskollegen der Konkurrenz traf.
Man übersah einander still stilvoll. Nur die Frauen verschwanden auf die Toilette, um ihre Nase zu pudern: «Wie war deiner??»
Als Frau Tschopp (eine allein erziehende Mutter mit sehr viel klaren Ansichten über das Geschlecht der Männer und wenig Holz vor dem Haus) als Verkaufsleiterin für Strümpfe in den Konzern eintrat? DA ÄNDERTE SICH SCHLAGARTIG ALLES!
Virginie Tschopp gründete eine Frauengruppe. Sie klärte ihre Geschlechtsgenossinnen auf, dass sie und ihr Holz grausam ausgebeutete Sexualobjekte seien. Es war Zeit für neue Zeiten.
Mit Zeigefinger und Mittelfinger machte Frau Tschopp schnipp, schnapp, was einige der Frauen zuerst fälschlicherweise als verbales Logo für die Schnittmusterabteilung interpretierten.
Die ersten Männer, die dem Holz vor dem Haus nachpfiffen, wurden verwarnt. Einige freigestellt. Und schnipp, schnapp machten nun die Frauen unter Hans, weil sie nicht mehr unter ihm sein wollten.
Kurzum: Es war ausgepfiffen.
Natürlich hatte Irma alles mitbekommen. Sie schwieg lächelnd? und liebte ihn eben, wie er war. Ein pfiffiger Kerl? der jetzt vor ihrem Kaiserschmarren pfeifende Schnarchtöne von sich gab.
«Hans? hier wird nicht gepfiffen!», klopfte sie ihm zärtlich auf die Schulter.
Er schreckte auf. Lächelte etwas verwirrt? und versuchte noch einen Zipfel des Sekundentraums zu erhaschen. Ein Traum, der ihn in ein Hotel­zimmer mit löchrigem Spannteppich und einer Klimaanlage entführt hatte? einer Klimaanlage, die allerdings nie funktionierte.

Montag, 21. Oktober 2013