Partnerkrise

Als ich kürzlich im Badezimmer diese Elektromaschine über meine Zähne surren liess, diese vibrierende Bürste, die alle Resten raus und das Weiss reinzwingt, als ich also vorne und hinten mit meinen Zähnen beschäftigt war, spürte ich etwas im Nacken.
ES WAR INNOCENTS BLICK.
Natürlich kann einer nach 40 Jahren Partnerschaft nicht erwarten, dass dieser feurig heiss oder gar geil wie Nachbars Lumpi ist.
Aber ich habe mir doch ein bisschen mehr Freude in den trüben Pupillen des Lebenspartners erhofft.
NICHTS DA.
Er schnalzte mit der Zunge. Taxierte meinen Körper vom Scheitel bis zur Zehe. Und was er sah, gefiel ihm anscheinend gar nicht.
Seufzend schüttelte er den Kopf: «Diese Wampe? man könnte meinen: im achten Monat! Wenn ich denke, dass ich damals, als wir einander kennenlernten, eine schleichende Bulimie in dir vermutete...»
VOLLTREFFER!
ES SIND DIESE MOMENTE IM BADEZIMMER, DIE DIR SCHON FRÜH MORGENS DEN TAG MACHEN!
Stumm stelle ich die ratternde Bürste ab. Spucke aus. Und wickle mich in ein Badetuch XXL.
«Hast du etwas gesagt?»? erkundigte sich diese Dreckschleuder scheinheilig. Und stellte seinen Hörapparat auf «full».
Mein Blick war mindestens so eisig wie diese neue Bohème-Inszenierung. In mir schrillte das hohe C der armen Mimi kurz vor dem Tuberkulosentod. Aber unsereins weiss, wann er zu schweigen hat. Und das war so ein Augenblick. DIE LUFT WAR GELADEN.
Beim Frühstück knabberte ich lustlos an einem Knäckebrot. Denn wenn die im Norden auch den lustigen Ikea-Lifestyle erfunden haben, beim Knäckebrot hatten sie nicht ihre grosse Stunde!
«Du könntest dir doch auch Herrn Markus leisten...», versuchte es Innocent jetzt auf die gütige Art. Wenn sein Feingefühl parallel zum Hörapparat auch immer auf «aus» gestellt ist, so ahnte er hier doch, dass nun nicht einfach Speck und Bohnen, sondern eine runtergeschluckte Wut den rundlichen Bauch seines Lebenspartners blähte!
Herr Markus ist das, was sich heute als «personal trainer» durchs Leben turnt. So radelt er sportlich auf seinem Stahlross von Wampe zu Wampe. Und versucht solche abzubauen? ähnlich wie gewisse Firmen ihr Personal.
Da ich immer noch nichts sagte und auch den mir grosszügig hingestreckten Beinschinken mit einem giftigen Blick ablehnte, merkte Innocent nun doch, dass er zu weit gegangen war. Und weil er zum Nachtessen vier Kunden eingeladen hatte, die ich mit Ochsenschwanz-Ravioli, farcierten Fasanenbrüstchen auf Marronibeet und meinen unschlagbaren «Babas au Calvadoseis» über die Börsentiefs hinwegtrösten sollte, wusste er: Für eine Partnerkrise ist jetzt der denkbar dümmste Moment.
DAS WUSSTE NATÜRLICH AUCH ICH (und stierte noch immer eisig schweigend in die Ecke).
Schon die Kembserweg-Omi hatte den Spruch mit «Reden ist Silber und Schweigen ist Gold» drauf gehabt. Sie konnte jede Stimmung an einem Mittagessen, weil ihr jemand (meistens die Schwiegertochter) schräg gekommen war, mit ihrem beleidigten Schweigen zur Sau machen. Stumm sass die Omi vor ihrem vollen Teller. Ihre Augen stierten leidumflort ins Nichts. Und wir anderen fühlten uns so unbehaglich, als sässe ein Kardinal splitternackt vor der Suppe.
Es braucht keine Bombengürtel und explodierende Autos? man kann auch schweigend terrorisieren. Das hatte ich schon früh gelernt.
Innocent jedenfalls hat bereits den Gong: «Ach Schnauserchen... das habe ich doch nicht so gemeint!»
ES IST LÄCHERLICH, EINE 62-JÄHRIGE WAMPE IM ACHTEN MONAT «SCHNAUSERCHEN» ZU NENNEN.
Deshalb sage ich immer noch nichts. Und so wie die Omi bei solchen Szenen stets eine Flasche Malaga, zwei Paar Gummistrümpfe oder einen Eintritt ins Kino Union rausgeschunden hat, überlege ich mir: Was holst du jetzt aus ihm raus?? «Mir gaukelt dieses Ührchen mit der Krone vor, das ja alle diese VIPs ums Handgelenk legen und...»
«JA HIMMEL UND DORIA? ICH HABE MICH ENTSCHULDIGT. ES REICHT JETZT!»
Hoppla. Ich habe die Uhr überzogen? das ist der Omi manchmal auch passiert. Sofort hat sie dann zu schniefen begonnen und ihr Kinn zittern lassen. Bei Omis Tränen wurden alle schwach. Und das Kinoticket lag dann allemal drin...
Mein Kinn bebte also auch. Ich rieb mir imaginäre Tränen aus den schönen Augen und...
«NICHT NOCH DIESE NUMMER? NACH 40 JAHREN FALLE ICH NICHT MEHR AUF DIESEN MIST REIN!»
Was hat die Omi nur besser gemacht? Was war ihr Geheimnis, dass sie als Superterroristin in die Familiengeschichte einging?
«... und mach nicht so viel Rahm an die Marroni! Man sieht ja, wo so etwas hinführt...» Innocent hatte Feingefühl und Hörapparat bereits wieder auf «aus» gestellt.
Am Abend waren die Gäste voll des Lobs über meine Babas. In der Küche schob mir Innocent hurtig ein Päckchen zu: «Hast wunderbar gekocht? das wegen heute Morgen tut mir wirklich leid. Das mit dem achten Monat war doch ein dummer Witz und...»
Noch vor dem Kaffee hatte ich das Päckchen aufgerissen. Es war ein Büchlein «Schwangerschaftsturnen? die leichte Geburt!»
Dazu ein Gutschein: Herr Markus wird nun auch zu meiner Wampe radeln.

Montag, 17. November 2008