Nonne am Morgestraich

Als Franz die Nonne sah, war er hin und weg.
Der Morgestraich war heiss gewesen: KALT ABER HEISS.
Für Franz wars, als hätte er das Beste vom Fasnachtsmenü bereits weggegessen? eine leichte Melancholie hatte ihn um halb sechs Uhr beschlichen: 90 Minuten waren vorbei. Verpufft. Verpfiffen. Blieben noch 4230. Aber da gabs dann keine Sahnehäubchen-Momente mehr.
Morgestraich war das Sahnehäubchen der Fasnacht? irgendwie Käse, dass dieses gleich am Anfang des Menü serviert wird. Da lief die Dramaturgie im Aufbau schräg.
Okay. Der Dienstag ist ja auch ganz sahnig. Dennoch: Man ahnt schon den Schluss des Festmenüs. Die verbleibenden 1680 Minuten sind nur noch erkaltete Nudeln an erstarrter Sauce.
Franz liess seine Clique ziehen. Und nahm die Nonne ins Visier. Sie sass im «Schlüssel» vor einem Glas Tee. Ihr schönes Gesicht war von der schwarzen Haube eingerahmt? die Augen blitzten wie zwei aufgehende Sonnen über dem Meer.
«WOWWWW!»? grinste Franz. «WELCHE NUMMER SPIELST DENN DU?» Er setzte sich der Nonne gegenüber. Und bestellte eine Stange «SCHAUM UNTEN», würzte er die Bestellung mit seinem gewohnten Spruch. Der Kellner lächelte müde.
Auch die Nonne lächelte Franz zu. Sagte jedoch kein Wort.
«AAAAHA! SCHWEIGEGELÜBDE?»? grinste Franz. Und hängte seinen Schnurrbart in den weissen Schaum. «SCHÖN, WENN WEIBER ENDLICH SCHWEIGEN KÖNNEN! HAHA!»
Seine Augen suchten unauffällig nach der Larve der Nonne. Franz entdeckte nichts Passendes.
«Bist du am Cortège??», fragte er und schaute nun in die zwei aufgehenden Sonnen. Diese strahlten zu ihm herüber? er spürte eine Wärme in sich aufsteigen, spürte, dass dies die Frau seines Lebens sein könnte?
Er hatte viele Frauen gehabt. Bei keiner hatte ers lange ausgehalten. Das Schlimme: Er wurde älter. Anspruchsvoller. Und wohl irgendwie «eigen».
ABER DIE HIER WAR ANDERS ALS DIE ANDEREN. Heisser. Und doch cooler. Sie hatte einen Glanz um sich, den er nicht deuten konnte. Und der ihn vibrieren liess?
«NEVER AT THE FASNACHT!»? dieses Gebot zur Sexabstinenz gehörte ins Repertoire von Franz wie «SCHAUM UNTEN!» Und er hatte sich auch immer daran gehalten. Die 4320 Miuten waren zu kostbar, um sie mit einer schnellen Nummer zu verplempern. ABER DAS HIER? DAS WAR MEHR! Nicht Fleischeslust. Nicht «ab geht die Post!»? das war wie ein ruhiger Bergsee im Morgenerwachen.
Franz wurde unruhig, konnte seine Gefühle nicht einordnen? und reagierte deshalb etwas gereizt: «ES IST NOCH NICHT VERBOTEN, AM MORGESTRAICH MIT EINEM WAGGIS ZU REDEN!»
«Sie versteht sie nicht?», hörte er nun eine Frau hinter sich sagen. «Sie ist taub?»
Er drehte sich um. Hinter ihm stand eine ältere Diakonissin. Sie lächelte Franz freundlich an: «Schwester Angelica kommt aus dem Marien- Kloster von Assisi. Sie macht in unserm Spital eine Ausbildung. Und da wollte ich es nicht versäumen, ihr die Herrlichkeit eines Basler Morge­straichs zu zeigen?»
Die junge Nonne stand auf. Noch einmal tauchte Franz in die zwei funkelnden Sonnen ein? Angelicas Mund lächelte jetzt leise. Und Franz wusste plötzlich, was diese Frau umgab. Und was ihn vibrieren liess: eine friedliche Ruhe.
Es war 07.00 Uhr. Er fühlte sich müde. Traurig. Irgendwie abgelöscht? Es war, als hätte der Schlussakt in der Ouverture stattgefunden.
Noch 4050 Minuten lagen vor ihm.

Montag, 18. Februar 2013