Molekular-Küche

Der Speisesaal des «Crillon» ist gigantisch. Noblesse pur.
Schon Napoleon hat hier sein Ei gelöffelt. Und sich danach mit Josy zurückgezogen. Der Kleine gab sich damals ganz gross. «Die Zigarrenstunde» nannte man so etwas im Jargon.
Meine offizielle Mission in der Pracht war die Lösung des Rätsels: «WAS IST EIGENTLICH MOLEKULARE GASTRONOMIE?»
Der Auftrag kam sinnigerweise aus Zürich. Denn grosse Mäuler tun sich mit kleinen Bissen immer wieder schwer.
Da ich die Physikstunden gerne und oft geschwänzt hatte, wusste ich nicht so richtig, wo Moleküle einzureihen sind.
Google sagte es mir:
«MOLECULA - KLEINE MASSE. SIE STELLEN DIE WINZIGSTEN TEILCHEN DAR?»
Da war ich aber sehr gespannt, wie das «Crillon» den Ochsen als Winzigwürfel serviert.
Der Kellner schob mir den goldenen Sessel unter den Allerwertesten, bettete eine riesige Serviette auf mein Knie und sagte: «Bon appétit, Monsieur!»
Den Wunsch hörte ich gerne - doch so viel sei Ihnen schon jetzt verraten: Mit einem «bon appétit» dürfen Sie nie ans Molekül-Gastronomische rangehen. Das ist, als würden Sie das Nilpferd mit einem einzigen Gummibärchen satt machen wollen?
Zuerst schickten sie den Gruss aus der Küche. Ich weiss da nie so recht, ob man zurückgrüssen darf oder soll.
Jedenfalls plusterte sich der Kellner pointenschwanger auf - wie einst die Kembserweg-Omi, bevor sie den neusten Trämler-Witz losliess: «Sie haben ganz links eine Karottenemulsion mit Zitronengras gewürzt und vom Chef mit geheimen Essenzen zur prickelnden Explosion auf dem Gaumen vorbereitet. Dann: gestocktes Wachteleiweiss, durchwoben mit dreizehn Kaviarkörnern aus Iran und einem Hauch von thailändischem Mango-Fricassé. Schliesslich: unsere traditionelle Weisstrüffel-Mousse auf drei Linsen und der Parisergruss in Form eines Miniatur-Eiffelturms aus Krabbenfleisch mit japanischer Lotusblume im Bonsai-Stil?»
Die Blüte war fingernagelgross - sie überdeckte den Eiffelturm trotzdem.
«Merci», sagte ich.
Und tat, als seien Moleküle mein Leben.
«Wir beginnen mit der Karottenemulsion und?» - der Kellner wollte mir eben den kulinarischen Gehweg durch den Molekular-Dschungel weisen, aber da waren die vier Teller auch schon - ratzeputz! - leer.
ES IST JA KEINE HEXEREI, VIER MOLEKÜLE IN DREI SEKUNDEN REINZUHOOVERN. NUR UNSER NEUER STAUBSAUGER ZIEHT BESSER?
Seit dieser spanische Señor Ferran im «El Bulli» das Essen auf Spritzen aufzieht und Mastgänse in Pillenform dragiert, meinen die Spitzenköche der übrigen Welt, sie müssten nun fröhlich mitmolekülen.
Im Gastro-Jargon heisst das: Moleküle sind molecooler.
Erzählt sei nur noch von meinem Lieblingsdessert: Iles flottantes.
Es kam als winziger Eiweisswürfel. Die Crème befand sich im fünf auf fünf Millimeter-Innenteil. Es war, als würde man einen Aknepickel aufstechen.
Ich habe dem Molekular-Menü mit einem Pfund gesalzener Butter und neunzehn knusprigen Baguettes meine eigene Note gegeben.
«Cuisine moleculaire ist eben keine Völlerei, Monsieur?», meinte der Kellner spitz, als ich ihn um das zwanzigste Brötchen bat.
Dann brachte er dieses. Mit der Rechnung.
Und die war dann alles andere als molekular.

Montag, 12. November 2007