«?uuund tschüüüss!»? die 87-jährige Alte gab Gas. Ihre wenigen, weissen Haare flatterten im Winde.
So jagte sie an den Rand der Fluh.
«Oma Gerber?», rief der schwarze Pfleger aus Kenia geschockt. «Oma Geeerber? nicht machen das!»
Oma Gerber hiess eigentlich Lola.
Sie hatte ein fröhliches, rasantes Leben hinter sich. Als 20-Jährige machte sie den Führerschein. Und mit 22 musste sie ihn zum ersten Mal abgeben. Grund: «ZU SCHNELLES FAHREN!»
Lola war nicht nur eine heisse, sie war auch eine schnelle Nummer.
Ihr Vater, ein Importeur von Sportwagen vergötterte sie. Nur die Mutter verstreute gut gemeinte Ratschläge wie der Bauer die Saat: «Gib weniger Gas, mein Kind? wer zu schnell durch die Jahre jagt, verpasst die stillen Zwischenzeiten?»
Wir spüren: Die Mutter war eine Poetin. Doch ihre Saat ging nie auf.
Lola wechselte Männer wie Tagesmütter die Windeln. Einmal nur war sie verliebt gewesen. Er fuhr ein englisches Zweirad? sie den MG-Sportwagen. Also liess Max das Velo stehen. Und sich von Lola zu dieser Fluh fahren, wo die Liebespaare den Mond bestaunten.
Sie trieben es wild auf der Autodecke. Als sie erwachten, ging die Sonne auf. Seine Hosenträger baumelten in einem Ast. Die Decke? blutroter Cashmere mit dem schwarzen MG-Zeichen? war zerschlissen.
Max löste die Hosenträger vom Baum. Lola liess die Decke liegen. Und beide lachten.
Lola lachte nicht mehr, als er ihr erklärte, er sei verheiratet. Und müsse jetzt schleunigst zu Heidi. Elegant schwang er sich aufs Zweirad. Und fuhr winkend davon.
ES WAR AN DIESEM TAG, ALS SIE VELOFAHRER ZU HASSEN BEGANN.
Mit 75 fuhr sie immer noch Auto. Schnell. Aber korrekt.
Nur Radfahrer peilte sie satt an. Oft zu satt. Sie hupte hinter ihnen her, wenn diese kein Licht hatten oder ohne Handzeichen abbogen. Die Radler zeigten ihr die Faust? sie ihnen den Stinkefinger.
Der Radfahrer, den sie dann übersah und der auf ihrem Maserati landete, hatte die Ohren mit Musik vollgestöpselt. Und sich im «ich kann mit verschränkten Armen fahren» geübt.
«DU RIESENARSCH!»? brüllte Lola den jungen Mann auf ihrem Kühler an. Der stöpselte ab. Zückte sein Handy. Und rief die Polizei.
Diesmal nahmen sie Lola den Ausweis. Für immer. Sie ging nun zu Fuss. Und ihr Ärger auf die Velofahrer wuchs: So radelten diese wild auf dem Trottoir um sie herum. Und Jahre später, als sie nur noch auf den Rollator gestützt herumkarren konnte, fegte ihr so ein Velo-Rowdy prompt frontal in den Karren. Lola kam erst im Spital wieder zu sich.
Mit Gehen war nichts mehr. Also begrüssten sie die Pfleger jeden Morgen mit einem megasuperfröhlichen «Tschüüüüs Oma Gerber?» Dann schnallten sie die Alte in den Rollstuhl. Und schon bretterte Lola durch die Gänge, als wäre es der Maserati.
«Ich möchte auf die Fluh?», sagte sie dem schwarzen Pfleger.
Und schickte ihn dort ins Restaurant, damit er ihr ein Fläschlein «Radler» hole.
DANN GAB SIE GAS. Die Räder des Rollstuhls pfiffen giftig schrill.
Lola jauchzte: «?uuuund tschüüüss!»
«Oma Gerber!», jammerte der Kenianer mit dem Fläschlein «Radler» in der Hand.
Zu spät.
Lolas letzte Fahrt war zu Ende.
Lolas letzte Fahrt
Montag, 9. September 2013