Leo zieht Leine

Als Innocent meinen gierigen Blick sah, düste er sofort auf 100! «DAS WIRST DU NICHT TUN! ES GIBT SO ETWAS WIE ETHIK DEM UNTERNEHMER GEGENÜBER. ABGESEHEN DAVON IST ES STRAFBAR?» Seine feuerballige Birne war ein wunderbarer Kontrast zum teerschwarzen Mann, dessen Kopf wie poliertes Ebenholz glänzte.

In Rom stehen diese Männer an allen Strassenecken. Sie sind in buntschöne Tücher gehüllt und verkaufen die falschen Taschen einer noch falscheren Welt. Seit Donna Leon einen von ihnen in einem Krimi ermorden liess, hat dies das Geschäft wunderbar beflügelt.

Zwar tauchen in den Medien immer wieder Meldungen auf, dass Touristen, die sich so eine Vuitton- oder Chanel-Kopie erstehen, vom italienischen Staat mit Horrorstrafen gebüsst würden - aber ich vermute, dass solche Meldungen ähnlich zu bewerten sind wie Berichte über das Ungeheuer vom Loch Ness.

Deshalb öffne ich also mein Portemonnaie, wobei der schwarze Mann mir strahlend mit seinen Kohlenkulleraugen zuzwinkert - er sieht, dass mein Wunsch nach Unrechtem stärker ist als das zeternde Männchen daneben, dessen Schnurrbart vor Aufregung vibriert.

Innocent fällt mir in den Arm: «EIN BALD 60-JÄHRIGER MANN LÄUFT NICHT MIT EINEM VUITTON-HANDTÄSCHCHEN RUM. DAS TUN NUR LABEL-FUZZIS UND TUCKEN!» Na, dann eben.
«Wie kannst Du eine Fälschung kaufen. Du bescheisst Dich ja selber?», heult Innocent verzweifelt. «Ich kaufe sie mir, weil meine kargen Honorare und ein knausriger Freund mir nichts anderes bieten können respektive wollen?» - meine sehr spitz-eisig vorgebrachte Bemerkung wird von dem schwarzen Händler mit heftigem Kopfnicken gutgeheissen - vermutlich ist er schon mehrfach Zeuge ähnlicher Szenen gewesen. Und weiss genau: DIE GIER GEWINNT.

«Im Übrigen ist das praktische Entwicklungshilfe. So ärmlich wie die wohnen. Acht Menschen in einem Loch, für das sie einen Wucherzins berappen. Frau Leon hat es genau beschrieben?»
Ich rede in die Wolken. Schmollend geht Innocent drei Meter vor mir. Er will nichts mit der Label-Tucke und dem Handtäschchen zu tun haben bis?

«Scusa Signore?» - ein kleiner Mann klopft mir auf die Schulter. Blitzschnell zeigt er mir seinen Ausweis: «POLIZIA».
«Sie wissen sehr genau, dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie eine solche Tasche kaufen?», sagt er.

Innocent ist nun kalkweiss. Der Polizist zeigt Handschellen, ist aber bereit, mich für ein Bussgeld von 1500 Euro springen zu lassen. Innocent blättert schon in der Brieftasche, da brülle ich das Männchen an. «Zieh Leine, Leo - QUESTE STORIE NON CON ME!» Das war vermutlich italienisch unkorrekt. Aber es wirkte. Leo jagte davon. Das ganze Quartier hat mich vor ihm gewarnt. Er kennt jeden Touristentrick. Und sein Polizeiausweis ist so falsch wie meine Tasche, die ich stolz am Arm trage.

Ich tätschle Innocents Hand: «Es war lieb von dir, sofort Geld locker zu machen. Und wenn wir schon dabei sind: Da vorne verkaufen sie auch Rolex-Uhren?»
Soweit ging die Liebe nicht. Und so werde ich wohl eine chinesische Imitation kaufen müssen.

Montag, 13. November 2006