Lebens(auf)läufe...

Liz hatte das Gemäkel satt. ABER SO WAS VON SATT!
Ihr Alter löffelte an einem Joghurt herum.
NATÜRLICH MAGER. An jenem Tag, als Svetla, diese drahtige Fitness-Zicke und persönliche Trimmdich-Beraterin von Ernst, dessen Bauch in ihre Hände genommen hatte, war mit Pasta-Auflauf Schluss gewesen. BASTA MIT PASTA!
Die Fitness-Frau sah bei solchen Aufläufen rot.
Auch Liz? Linzertorte kam in den roten Bereich.
DOPPELROT! FERTIG SÜSS. FERTIG KRUSTIG.
Die Alternative war ein Fünftel Ananas, weil irgendeine chemische Kombination in der Frucht das Fett von Ernst wegbrennen würde. So zumindest behauptete es Svetla.
Liz sah Ananas nun mit ganz andern Augen: fettfressende Strunke (und nicht mehr ihre süssen Kindheitsglück-Scheiben mit dem Loch und der roten Büchsenkirsche drin).
Svetla wusste überhaupt viele gescheite Dinge, die das Leben gesund und fit machten: vom Huhn musste die Haut weg!
Omeletten gabs nur noch in weiss? das Gelbe vom Ei war doppelrot. ALSO ALARMSTUFE DREI. So Böses galt auch für raffinierten Zucker, gesalzene Nüsschen und Nutellaschnitten. Gut. Die Diät sowie das tägliche «Nun quälen wir uns mal so richtig in den Tag»-Programm zeigten Resultate: vier Kilos weg.
«IST DAS NICHT HERRLICH?!», jubelte Svetlana zu Ernst.
Dieser gockelte nach dem Acht-Pfund-Erfolg stundenlang vor dem Badezimmerspiegel hin und her, wechselte dreimal täglich das Aftershave und trug jetzt weisse Nike-Turnschuhe.
«Ich glaube, Dein Mann steckt in einer Midlife-Crisis!», hatte eine Freundin zu Liz geunkt.
Nun gut. Soll ja vorkommen. ABER WESHALB MUSSTE GERADE LIZ DIESE CRISIS AUSBADEN?
Je weniger Ernst am Tisch ass, umso mehr schaufelte sie nämlich in sich rein. Was er abspeckte, legte sie zu. DAS MUSSTE AUCH WIEDER SO EINE CHEMISCHE REAKTION SEIN WIE BEI DIESER VERDAMMTEN ANANAS!
Als Liz dann mitbekam, dass Svetlana nicht nur Ernsts Bauch in den Händen hielt, sondern auch sonst noch mit ihm rumturnte, sagte sie nichts.
Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, dass eine Frau kochen und schweigen soll.
Als er ihr aber an ebenjenem Abendessen erklärte, er wolle künftig geschrotete Körner zum Joghurt, da verliess sie stumm den Tisch. Packte den Koffer.
Und fuhr in ein Wellness-Hotel nach Baden-Baden. Gottlob hatte ihr die Mutter einst nicht nur Ratschläge, sondern auch ein Konto hinterlassen.
Sie sah Ernst erst nach einem halben Jahr wieder.
Dieser war ein mickriges Männchen geworden.
Mit Dreitagebart. Und immer noch weissen Nike-Schlappen.
Sein Gesicht war faltig. Sein Gemüt war es auch: «Ach Liz? Svetla ist nach Polen abgehauen? mit einem Oberländer Kranzschwinger!
AUSGERECHNET! Aber ich vermisse sie nicht.
Ich vermisse einzig Dich und Deine Pasta-Aufläufe!
Wollen wir es noch einmal miteinander versuchen?»
«Ich denke nicht daran!», liess Liz ihn abfahren, «Ich habe in Baden-Baden einen Yoga-Trainer gefunden. Aus Delhi. Wir arbeiten beide an meinem Karma...»
Erst 38 Jahre später fanden Liz und Ernst wieder zusammen. Sie zogen gemeinsam in eine betreute Alterswohnung. Ernst trug jetzt keine Nikes mehr.
Sondern bequeme Filzlatschen, in denen seine geschwollenen Füsse gut Platz fanden. Liz hatte sich ein oranges Band ins lange, graue Haar gebunden.
Und beide mäkelten an der Blumenkohlsuppe herum...

Montag, 13. August 2012