Last minute

Max rieb sich die Stirn. Dieser Trottel neben ihm hatte sich ohne Voralarm abrupt gekehrt. VOLLTREFFER! Rucksack frontal an die Birne.
Und «sorry!»? ein hilfloses Lächeln.
MAX HASSTE RUCKSACKTRÄGER.
Sein Kopf surrte. «Es war eine Schnapsidee», knurrte er zu Ilse.
Diese zwickte ihn fröhlich in die Weichteile: «DIE WERDEN AUGEN MACHEN...!»
Ja klar? ihre Frohnatur hätte eine ganze zuschlagende Rucksackarmee nicht trüben können.
«Jetzt fliegen wir einfach nach Boston...», hatte sie vor einer Woche beim Frühstück verkündet. «DAS GANZE ALS ÜBERRASCHUNG! Ein Last-Minute-Schnäppchen. Für das Geld fährst du nicht einmal zweiter Klasse nach Mendrisio!»
Max wollte nicht nach Mendrisio. Auch nicht nach Boston. Schon gar nicht 2. Klasse. ER WOLLTE SEINE RUHE.
Aber: «... Steve ist jetzt 6 Monate alt... Ich will nicht nur Computerfotos küssen... EINE GROSSMUTTER MÖCHTE IHRE ENKEL NATURE ABSCHLABBERN!»
«Eva könnte ja zu uns...», wandte er zögernd ein. Der Vorschlag wurde mit den Zopfbrosamen vom Tisch gewischt: «DU BIST PENSIONIERT. ABER DIE BEIDEN HABEN VOLLPROGRAMM!»
Es tat sich nichts am Gate 23a. Seit 40 Minuten standen sie nun in der Schlange und warteten darauf, dass sich diese verdammte Glastüre endlich öffnen würde.
Max seufzte: «Es ist nicht mehr dasselbe...»
«Bitte?»? Eva hob die Augenbrauen.
«Früher sass ich in der Lounge. Liess mir einen Kaffee servieren. Und wartete gemütlich in einem Fauteuil auf den letzten Aufruf...»
«Klar! Alles first class. ALLES AUF SPESEN! BIS DIE BANK WANKTE.» Er überhörte den Misston: «... und die Leute waren damals anständig angezogen, wenn sie ein Flugzeug bestiegen: Blazer. Krawatte. Cool-Wool-Hose...»
Er schaute angewidert auf die Herde in flatternden Trainingslumpen. EINIGE HATTEN NOCH NICHT EINMAL SOCKEN AN! Wo sollte diese Welt landen? Sie landete in Boston.
Allerdings mit sechs Stunden Verspätung. Max wollte nur eines: das teure Missoni-Jacket sofort in die Reinigung bringen. Das Kind seiner Sitznachbarin hatte zuerst drei Stunden lang geschrien. Die genervte Mutter versuchte die Kleine per Schoppen zu stoppen. Mit einem langen Bäuerchen hat das Kind dann diesen kurz verdaut auf ihn rausgelassen. BINGO!
Ilse hatte das Übelste mit Feuchttüchlein weggewischt? während des ganzen Flugs hatte sie ihre Überraschung wiedergekäut: «Wir klingeln... Eva öffnet... SVEN AUF DEM ARM... ich sehe schon ihr Gesicht... Sie hat schon als Kind immer wie eine kleine Sonne gestrahlt.»
«Durch die Verspätung werden wir mitten in der Nacht vor ihrer Türe stehen, Ilse! Da gibts nur den Mond. Keine Sonne!»? «MIESMACHER!»
Das Essen bestand aus Eingelegtem in Plastikschale. Max protestierte: Früher haben sie das Filet Wellington noch handtranchiert... und jetzt Gummibesteck! ICH MEINE: ES GIBT BESTIMMT KEINE BOMBEN UND NAGELSCHEREN AN BORD. ABER MIT DIESEM FRASS KILLST DU SPIELEND 20 PASSAGIERREIHEN! DAS IST TERROR.»
«Jetzt sei endlich friedlich!»
Es war bereits Morgen, als sie endlich vor Evas Haus standen.
Ilse klingelte. Sie strahlte wie ein Solariumbett auf Power: «Hallihallo? Sörpreis... SÖRPREIS...!»
Da schellte ihr Handy. Es war Eva: «Hi? wo steckt Ihr denn?! Seit zwei Stunden stehen wir vor eurer Basler Haustüre... ein Last-Minute-Angebot und...»
SURPRISE... SURPRISE!

Montag, 20. Juni 2011