Knopfkiste

Wenn mir als Kind langweilig war? und für ein Einzelkind lauerte die gähnende Gefahr auf Schritt und Tritt? wenn sich also niemand der Erwachsenen mit dem Kleinen abgab, schrie ich Zetermordio. Und sie schoben mir wortlos Omis «Knopfkiste» hin.
Später, im teenigen Alter, wo die andern ihren dritten Joint rein- und die ersten Freundinnen auszogen, habe ich mich weniger für Pop und Rock interessiert, als vielmehr für Frau Callas, die damals der absolute Opernstar war. Man nannte sie «la primadonna assoluta». Und sie hatte den Status der Sängerin Madonna von heute? nur ein bisschen spinniger. Und ein bisschen mehr Stimme.
Aber ich drifte ab (es ist Föhn!) und was ich eigentlich sagen wollte: Wenn die Callas den Rappel hatte, wühlte sie auch in der Knopfkiste.
DAS IST ERWIESEN!
Als man sie in Rom wegen eines einzig falsch angesetzten Tons in der Casta Diva auspfiff (die Ärmste sang mit einer 39 Grad fiebrigen Angina und war vollgepumpt mit Chinin, damit ihre Gurgel überhaupt noch trillern konnte), als die Primadonna assoluta also nach den ersten Pfiffen aus dem Publikum abbrach und erklärte. «Qui la Norma finisce» (übersetzt. «Schluss, ihr Dummis? jetzt hört die Norma auf!»), da hat ihr damaliger Ehemann, Herr Battista Meneghini, ein Mailänder Gemischtwarenhändler der obern Klasse, sofort nach der Knopfschachtel gerufen.
Die nun stumme Norma wurde in die Garderobe zu den Knöpfen geführt. Es waren Theaterknöpfe, wunderbar glitzernde, goldene, solche mit Perlmuttropfen, geschliffenen Glassplittern (die dann in den Scheinwerfern wie Sterne funkeln) oder mit dem Strass der Firma Swarovski übersäht waren. Die Callas setzte sich auf einen Stuhl. Wühlte in den Knöpfen. Und regte sich innert Sekunden ab? die Knöpfe wirkten Wunder.
Natürlich jagte die Fotografenmeute wie ein Wolfsrudel, die das lädierte Huhn aufspürt zur Wühlenden. Hunderte von geblitzten Bildern belegen: Die Callas wühlte mit irrem Blick (sie war immerhin noch als Norma geschminkt, und die Schminke kübelte ihr in schwarzen Bächen übers edle, eben frisch abgemagerte, aber an diesem Tag heissfiebrige Gesicht) in der Knopfkiste.
Weil aber schon damals die Schreiber ihren Skandal haben wollten, schrieb man: «Die Callas wühlt in ihrem Schmuck!» Das machte die Sache irgendwie spezieller? und brachte das Volk gegen die Sängerin auf. Tenor: EINE ANSTÄNDIGE PRIMADONNA WÜHLT NICHT IM SCHMUCK, WENN SIE SOEBEN EINEM TEHATERPUBLIKUM SAMT STAATSPRÄSIDENTEN DEN OPRENABEND VERSAUT HAT!
Natürlich habe ich als Kind schon gesehen, dass es eine Knopfkiste war. Da war ich ja Experte. Ich schrieb der damaligen «Sie und Er» (nun ja, das war so eine helvetische Sondermischung aus «Gala»- Klatsch und Jass-Onkel-Tipps, man habe sich geirrt: es würde sich nicht um Schmuck handeln. Sondern um Knöpfe. NATÜRLICH KAM NIE EINE BERICHTIGUNG. Wer wollte schon auf einen kleinen Knopf hören. Und die Callas wurde bis zu ihrem Tode als im Schmuck wühlende Furie gehandelt.
Wer selber einmal in einer Knopfkiste rumgenuscht hat, weiss, wie wunderbar beruhigend Knöpfe sein können. An vielen hängen noch Fäden? und an den Fäden Erinnerungen.
Omis kleine Blechkiste (da waren einmal Suppenwürfel drin gewesen) bot Tausende von Geschichten? da war dieser Knopf, den mein Grossvater noch als Stadtgärtner an seinem Arbeitsmantel getragen hatte: ein kleines, halbrundes Stück aus Messing und mit einem geprägten Baslerstab. Als Pendant gabs ein paar schwarze Trämleruniformen-Knöpfe, ebenfalls mit Baslerstab. Nur falsch herum. Da waren aber auch solche mit farbigem Glas oder einer, der mit purpurnem Samt überzogen worden war und Mutter jedes Mal die Tränen in die Augen schiessen liess: «Das Kleid hat doch Trudchen bei seinem schrecklichen Unfall getragen?»
Natürlich gabs Hunderte von diesen perlfarbigen Hemdenknöpfchen, von denen ich eben erst kürzlich lesen musste, dass sie seit Jahrzehnten nun schon aus einer Kunststoffmasse (Nylon) hergestellt würden. Meine Mutter bestand darauf, dass ich schon früh lernen sollte, meine Knöpfe selber anzunähen. Fand ich eh nicht schlimm. Aber wenn mir heute bei meinen Jeans so ein Knopf abspritzt, weil das Nachtessen zu üppig gewesen und der Bauch angeschwollen ist, habe ich alle Mühe diesen (den abgespritzten Knopf) wieder regelkorrekt an den verlassenen Ort zu bringen. Knöpfe werden heute nämlich kaum mehr genäht. Sondern reingestanzt. Oder dann werden sie so angezurrt, dass ein einziger Zug am Faden genügt, und alles ist hin! Überhaupt knopft kaum mehr jemand. Da ist dieser elende Klettverschluss, der mit einem nervigen Geräusch (wie vorbeibretternde Autos im Regen) aufgerissen und wieder zugeknetet wird. Schöne Knöpfe sind rar geworden. Die Mode ist knopf- wie kopflos. Auch Omis Knopfkiste ist bei einem der vielen Umzüge verloren gegangen. Vermutlich langweilen sich nun Einzelkinder entsetzlich. Und ich frage mich, was eine Primadonna heute macht, wenn sie nicht mehr weitersingen will? Im Klettverschluss wühlen?

Montag, 3. November 2008