Als das iPhone in unseren Haushalt eierte, änderte sich alles. ICH SAGE EUCH: ALLES. Innocent iphonert sich seither kleinformatig durch das Grosse dieses Lebens.
Jedem präsentiert er seinen Apparat. Es gibt keine gewöhnlichen Einladungen mehr. Die Gäste werden schon unter der Türe abgestoppt:
«HAAAALT! EINER NACH DEM ANDERN. ZUERST LÄCHELN... DAAA KOMMTS VÖGELCHEN...»
Die frisch Angekommenen reagieren etwas überrumpelt. Entsprechend ähnelt die Galerie im iPhone dann auch eher einem Verbrecheralbum als einer Gästeliste.
Schon nimmt Innocent die Daten auf. Telefonnummer. E-Mail. Geburtsjahr.
Besonders beim Geburtsdatum bekommen die Gäste saures Aufstossen. Aber Innocent, mit dem Feingefühl einer Röstiraffel, merkt nichts. Und speichert alles? Falschdaten und Spätgeburten.
Während er nun der Runde erklärt, wie er mit vier Knopfdrücken jede Restaurantadresse in Uruguay optisch sichtbar machen kann (wir waren nie in Uruguay und es ist auch nicht geplant), fällt mein Soufflé zusammen wie der Achtzigjährige, dem man das Viagra entzogen hat.
«UND HIER...», so strahlt Innocent, «KNOPFDRUCK... UND ICH BIN IM INTERNET... SO KANN ICH SOFORT JEDES MAIL DIREKT BEANTWORTEN...»
Ich trage das ausgeblasene Soufflé weg? die Gnocchi rollen an. Sie erkalten ganz langsam? denn Innocent präsentiert nun sein digitales Fotoalbum: «Ich kann das Bild sogar aufspreizen... hier ist meine Schwägerin Hortense querweg...» Er spreizt die Finger über dem Bildschirm zu einem halben Daumenspagat: «Flutsch! Schon haben wir Schwägerin Hortense längsgestalt... ja, was sagt ihr jetzt?»
«Die Gnocchi sind kalt», sagt Frau Aenishänsli.
«Ich habe eine Allergie auf Basilikum. Kann ich nochmals eine Portion ohne haben, aber eine warme...?»
Innocent tickert wild auf seinen Apparat ein. Die Aenishänsli taucht in Bildform auf. Sehr unvorteilhaft. Denn Innocent hat sie im Hausgang von der Seite aufgenommen.
Und von der Seite her steht ihr Bauch raus wie ein schwebender Heissluftballon.
«Lisbeth Aenishänsli... BASILIKUM-ALLERGIE... WARMESSERIN», ergänzt Innocent neben Telefonnummer, E-Mail-Adresse und dem falschen Geburtsjahr unter BEMERKUNGEN. Und: «Lisbeth, das haben wir jetzt da im Apparätlein... das wird nie mehr passieren!»
«Aha», sagt Lisbeth Aenishänsli. Und vermerkt auch gleich noch eine Erdbeeren-Aversion. Der Braten ging problemlos. Innocent wies nur kurz auf den Direktanschluss zur Börse hin. Nach dem dritten Fläschlein wollten alle ebenfalls so ein iPhone haben. Besonders als Innocent unheilvoll knurrte: Dieser Esstisch steht doch schief. DIESER ESSTISCH HAT NOCH NIE SCHIEF GESTANDEN! Wieder Knopfdruck.
Schon ist das Hexending eine Wasserwaage mit eingebautem Kompass:
«ICH HABS JA GESAGT? NACH SÜDEN HIN SENKT SICH DIESER TISCH UM ZWEI GRAD!»
Als er dann noch das Universum mit der tages- respektive nachtaktuellen Saturn-Position abrufen wollte, verabschiedeten sich die Gäste hurtig. «Sollen wir dir das Geschirr abwaschen helfen?», erkundigte sich Lisbeth Aenishänsli. Wieder erschien sie auf Innocents Bildschirm heissluftballonbäuchig.
«HILFREICHE PERSON», tickerte Innocent geschäftig neben der «BASILIKUM-ALLERGIE und ERDBEERENAVERSION.
Dann wehrte er sofort ab:
«Nein, nein? das machen wir alles selber...» WIR? Seit fünf Tagen liegt der Geschirrspüler im Koma. Also trage ICH ganz alleine die Teller in die Küche. Und lasse schon mal das Wasser ins Becken einlaufen... Innocent steht mit seinem Wunderapparat hinter mir: «Kehr dich um... UND LÄCHELN...!»
Ist mir vergangen.
iPhone
Montag, 14. September 2009