Alf war ein schwieriges Kind. Er verweigerte die Muttermilch. Nässte das Bett noch als Siebenjähriger. Und sprach erst mit neun Jahren verständlich. Seine beiden ersten Worte waren: «Fick dich!»
Die unfeinen Worte waren seine einzige Mutterbeziehung. Denn sie benutzte den Ausdruck immer wieder, wenn ihr der Alte auf die Eier ging. Und er ging das mehr als oft.
Als Alf 14 war, änderte die Mutter ihre Standardfloskel. Und bezog auch den Jungen ein: «FICKT EUCH!» Eine nichtige Kleinigkeit hatte ein Erdbeben ausgelöst: WER RÄUMT DEN TISCH AB?!
Hugo, der Vater, hatte wortlos auf sein iPhone gestiert, wo die amerikanische Börse wie ein Lavastrom in Rot vorbeizog. Alf blätterte in einem Comicheft, wo die Helden blutrünstige Zombies waren.
Und die Mutter drehte durch: «JA HATS EUCH EIGENTLICH ALLEN INS HIRN GESCHISSEN?! Ich reisse mir doch nicht für diesen miesen Laden jeden Tag den Arsch auf. FICKT EUCH!»
Dann krachte die Türe. Und die gute Frau ward nie mehr gesehen.
«Räum ab!», sagte Hugo und stierte noch immer auf die vorbeiziehenden Börsenzahlen in der Hoffnung auf irgendetwas Grünes. «Selber», murmelte der Junge. Und am vierten Tag bat Hugo die Putzfrau, zwei Mal mehr die Woche zu kommen. Ein Jahr später schmiss Alf die Schule und hing an der Nadel. Er brachte einen Hund heim. Nannte ihn Pluto. Und benutzte den undefinierbaren Bastard, um beim Anschlauchen von zwei Franken («FÜR DIE NOTSCHLAFSTELLE!») ein bisschen Mitleid bei den Passanten aufkochen zu lassen.
Der Vater, noch immer total auf die Börsenkurse fixiert, bemerkte den neuen Mitbewohner erst am achten Tag, als er mit mohnblumenrotem Kopf und Atemnot unter Hornsignal in den Notfall eingeliefert wurde.
«WAS IST DENN DAS?»? keuchte er von der Krankenbahre, als ein ziemlich verlauster Hund neben ihm her bellte. Und dann flüsterte er: «SCHAFF DIESEN KÖTER WEG. ICH BIN ALLERGISCH AUF HUNDEHAARE!»
«Fick dich!», blaffte Alf, «ich bin allergisch auf Börsenzahlen!» Nach Reanimierung und zehn Tagen Rekonvaleszenz in einer Klinik, die kein Wifi hatte und iPhones nur im Out-Zustand geduldet wurden, sprach Hugo ein Machtwort. «BEI DIR IST EH HOPFEN UND MALZ VERLOREN? RAUS AUS MEINER HÜTTE. SCHAU, WIE DU WEITERKOMMST!»
Hund wie Sohn zogen ohne grosse Emotionen ab.
Und dann kam dieser schreckliche Montag, als auch Pluto die Hundenase voll hatte. Seit drei Tagen hatte er nichts mehr unter die Zähne bekommen. Alles eingeschlauchte Geld ging für Stoff und diese kleinen Pillen weg. Also schaute der Hund seinen Herrn noch einmal vorwurfsvoll an, knurrte etwas, das wie «FICK DICH!» tönte? und zog Leine. Oder eben: ab.
Er trottete beim Mittagsverkehr über den Fussgängerstreifen einer stark befahrenen Kreuzung. Man hörte das hohe Kreischen von abgebremsten Pneus. Krachen. Scherbenklirren. Die Zeitungen berichteten später von fünf Autos, die ineinander aufgefahren waren? im dritten Wagen war Hugo am Steuer gewesen. Ihn hatte es mit einer angekratzten Halswirbelsäule böse erwischt. Er las künftig die Börsenzahlen im Rollstuhl. Und seine Allergie auf Hunde verdoppelte sich. Pluto kam übrigens heil über die Strasse. Und ist heute die Freude eines kinderlosen Ehepaars. Das Leben schreibt seltsame Geschichten.
Und kann mitunter hundsgemein sein.
Hundsgemein
Montag, 26. November 2012