Herr Oskar

Lady Curzon. Als Hannchen anrief, konnte ich nicht Nein sagen. Immerhin hat Hannchen damals Herrn Oskar gehütet. Herr Oskar war Innocents Schildkröte, sein Hundeersatz.
Er hatte die schildige Kröte zu seinem 12. Geburtstag bekommen. Dem allem war eine ständige Zwängerei «Ich will einen Hund!» vorangegangen. Innocents Mutter behauptete gegen Hundehaare allergisch zu sein. Eine Lüge. Sie war allergisch gegen die Verpflichtungen, die solche Köter mit sich bringen. Und sie kannte diesbezüglich ihre Männer nur zu gut: Gassi gehen wäre Muttchens Ding geworden. DESHALB DIE KRÖTE. Mit der Schildkröte kamen auch die Drohungen:
«Wenn Du nicht brav bist, machen wir aus Herrn Oskar eine Lady Curzon!»
Es war die Zeit als Lady Curzon bei jedem dritten Nachtessen in kleinen Tässchen angedampft kam. Oben schwamm ein Rahmmantel mit einem Hauch Curry. Unten schwamm die Schildkröte in Würfelform.
Innocent hasste Lady Curzon.
Und ward fortan ein braves Kind. Auch wenn er in seinen stillen Nächten von einem Spaniel träumte, der sein einsames Herz etwas gefühlsvoller erwärmen würde, als der harte Panzer von Herrn Oskar, liebte er das Vieh auf seine unkomplizierte Art. Um der Sache einen besondern Reiz zu geben, behaupteten die Eltern der Name der Schildkröte sei «Herr Oskar».
Ein Oskar alleine wäre zu kommun gewesen.
Man sieht aus welcher Familie Herr Innocent kommt: kein Hund? aber ein Herr vor den Kröten. Herr Oskar zog mit Herrn Innocent in die erste Junggesellenbude.
Er begleitete ihn zu einem Ausbildungsjahr nach New York. Und er überlebte auch 24 Monate Paris, obwohl jedermann weiss, dass Franzosen auf gekochte Oskars scharf sind. Später, in den flammenden Anfangsjahren unserer Beziehungskiste, war Herr Oskar immer dabei.
Wenn wir in die Ferien wollten, war das Problem: «Wer hütet Oski?» (Ihr merkt: Zu Hause liessen wir den Herrn weg und gingen zum vertrauten «Oski» über.) Da kam Hannchen ins Spiel. «Es ist nur noch das einte Mal... Er muss ja mittlerweile mindestens 90 Jährchen und 120 000 Kilometer auf dem Tacho haben.» Jedes Mal nach Oskis Aufenthalt in Hannchens Heim, schien die Kröte wie aus dem Jungbrunnen auferstanden: Noch fröhlicher, noch vitaler? ich dachte es würde mit ihr nie ein Ende nehmen.
Das nahm es dann doch. Aber sehr, sehr spät. Es war Olgas Dobermann, der auf Schildkröten allergisch reagierte. Ich erspare Ihnen Einzelheiten. Wir haben also Herrn Oskars Gehege entsorgt und uns der krötenfreien Zeit erfreut, als Hannchen die Bitte wegen der Orchideen stellte. Sie wollte zur Kur nach Abano.
Wir sollten auf ihre kostbaren Pflanzen aufpassen. Da konnten wir ja kaum Nein sagen.

Orchideen. Noch bevor Hannchen erstmals im Schlamm eingetaucht war, fielen die Blüten der Orchideen wie die Soldaten im Krieg. «Sie bringt mich um», jammerte ich bei Innocent. Der machte Knete locker. Wir kauften ein Heer von Orchideen und entsorgten die Verblichenen.
«Ach Kind, du hast den echten grünen Finger», strahlte Hannchen, als sie aus den Thermen zurückkam. Sie schenkte süssen Wein aus, den sie dort bei den Badekuren trinken, und grinste vom Alkohol gerötet: «Ich muss euch jetzt ein Geständnis machen. Damals, als ich auf Herrn Oskar aufpassen musste, kam Adolf mit seinem Dobermann zu Besuch und...» Es war gar nicht mehr UNSERE Schildkröte, die wir 58 Jahre und zwei Monate durchgefüttert hatten! Innocent lachte gekünstelt auf. «Ja, ja? so ist das Leben.» Und Hannchen schaute verträumt zu den Orchideenblüten: «Seltsam? um diese Zeit verlieren sie sonst immer ihre Blüten...»

Montag, 8. März 2010