Happy End

Lilli schaltete frustriert den Fernseher aus.
SCHON WIEDER KEIN HAPPY END!
Was war eigentlich mit dieser Welt los? Schokolade hatte bitter, das Glück durchlöchert zu sein.
Die Zeit hatte Lilli das Süsse vom Leben gestohlen. Seit Monaten switchte sie von Sender zu Sender, um zumindest irgendwo ein Zipfelchen Glück zu finden? aber immer endeten die Streifen mit frustrierten Weibern, die ihre Liebhaber verliessen, um sich in Afrika selbst zu verwirklichen. Oder noch schlimmer: sie wurden verlassen. Und hatten bis zum Abspann des Films diese trauerumflorten Gesichter von Menschen, die an übersäuertem Magen leiden.
KEINE FRÖHLICHKEIT IM PROGRAMM! KEIN FROHES ENDE! KEIN WUNDER, DASS AUCH NICHTS MEHR EINEN GLÜCKLICHEN ANFANG NAHM...
Lilli seufzte: überall nur noch diese gallige Bitternis und die Horrormeldungen in den Abendnachrichten. Die Sprecherinnen schauen mit Bitterleichenmienen in die Röhre. Ihr Blick ist immer ein leiser Vorwurf, als ob wir für all das Üble, das sie uns verkünden müssen, verantwortlich wären: «Was ist das aber auch schrecklich... und in den Spät-News wirds noch verreckter...»
Selbst auf dem Kinderkanal darf Schneewittchen nicht mehr vom Prinzen wachgeküsst werden. Rumschmusende Prinzen sind pädagogisch «nicht wertvoll»? also lässt die Regie das arme Kind von der Tagesmutter ein verhextes Apfelschorle schlürfen. Die arme Waise wird auf diese Weise? hokuspokus? zum biologischen Apfelbaum. An dem knüpfen sich die sieben Zwerge in ihrer totalen Krise auf, denn «WER KOCHT NUN FÜR UNS UND LÜFTET DIE BETTEN?».
Na danke.
Selbst Rosamunde Pilcher, auf deren «happyges» End doch jeder sein Herz verwetten konnte, enttäuschte die letzten Male. So ging der arme Bräutigam direkt vor dem Traualtar an einem irreparablen Magendurchbruch ein. Und beim letzten Film war das Ende vom Lied, dass die wunderschöne Heldin gar keine biologisch garantierte Frau, sondern ein «Umgebauter» war.
Rosamunde! Rosamunde! Was ist auch in dich gefahren?
Lilli vermisste die frohen Momente ihrer jungen Jahre. Sie war die Generation, die noch Frösche geküsst hatte, in der Hoffnung, es explodiere das Glück. Frösche waren das Rubbellos von damals? und auch alles Nieten.
«Die Welt ist hässlicher und weniger süss geworden!», hatte Lilli ihr Statement zum Tag bei einem Espresso-Treffen mit ihrer Freundin Eva abgegeben. Diese hatte darauf etwas verunsichert zum Kunststoffzucker gegriffen: «Hast du schlecht geschlafen?»
Lilli schaute Eva an: «WANN HAST DU ZUM LETZTEN MAL EIN THEATERSTÜCK ODER EINEN FILM GESEHEN, WO SICH DIE PAARE AM SCHLUSS INNIG IN DEN ARMEN LAGEN...?»
«Das war eine Gedenksendung für Peter Alexander...»
Lilli wischte Peter Alexander energisch von der Theke: «Gedenksendungen zählen nicht...»
«Also da war doch?Traviata? mit der Netrebko und Villazon. Und...»
«TRAVIATA WAR TOT!»? auch Netrebko wurde so von Lilli aus dem Programm gefegt.
Eva rührte etwas genervt den künstlichen Zucker weich: «Also Lilli? diese Schmusefilmfinale sind eh passé. Wir leben in einer Welt, wo zwei von drei Paaren sich scheiden lassen... Happy Ends finden doch nur noch in alten Trickfilmen statt.»
Am Abend legte Lilli die DVD «Susi und Strolch» ein.
Als die beiden verliebten Hunde sich endlich fanden, weinte sie.

Montag, 6. Juni 2011