Haarige Ehe

Er war stolz auf sein Haar.
Es war voll. Dicht. Lockig.
Schon als Kind hatten ihn die Tanten am Schopf genudelt: «So schöne Löckchen, der Max. Das wird aber ein lockerer Herzensbrecher...»
Wurde er nicht. Sondern Buchhalter bei Schmitz und Co (Elektrogeräte en gros). Daneben treuer Ehemann von Louise. Dies 45 Jahre lang. Nie ein Hüpferchen nebens Ehebett. Nie ein böser Krach.
Keine Krisen? sondern drei Wochen Ferien in einer Pension von Cattolica (einmal wurde ihnen die Geldbörse gestohlen). Und als Highlight: die Grosskinder.
Ein stinklangweiliges Eheleben eben.
Und dann passierte es: fünf Haare auf dem Kopfkissen, 23 in der Badewanne? «haarig... haarig», kommentierte Louise. Und zupfte demonstrativ die Dinger vom Duvet: «Was ist denn mit deinem Kopf los?»
NICHTS WAR LOS. DAS HAAR WAR LOS. Also ging er zu seinem Apotheker. Und kam mit Wunderpillen nach Hause: Sie versprachen alles wieder aufzufüllen. Und Haare neu hervorzulocken...
Er schaufelte sich die Kapseln pfundweise rein. Würzte die Haarwurzeln mit einer Tinktur, die scheusslich brannte. Und stellte sein Frühstück auf Haferflocken um. Weil Haferflocken schönes Haar machen würden? wie Olaf, sein Kegelfreund, sagte. Olaf hatte eine Glatze. Aber haarige Erfahrungen aus seiner Vergangenheit.
DOCH DIE HAARE VON MAX FIELEN WIE DIE KRIEGER IM FELDE.
Bald sah man eine Lichtung. Und Louise tätschelte die Hand des Gatten, der ganz langsam in eine Depression absackte: «Ach Mäxchen? ein Glätzchen ist doch ganz heiss. Ich habe schon als junges Mädchen für Yul Brynner geschwärmt. Wusstest du übrigens, dass der ein Schweizer war und Julius Brunner hiess?»
Brunner alias Brynner war Max scheissegal. Er wollte keine Brunner-Brynner-Büchse. Er wollte seine wallenden Locken zurück.
Sein Coiffeur, Gérard Schnittlein, beruhigte ihn.
So etwas sei mit 70 Jahren ganz normal. Er werde nie eine Vollglatze haben. Nur einfach weniger Haare? «so wie wenn der Förster den Wald auslichtet», witzelte der Figaro. Schnittlein war schon immer eine Witznummer gewesen.
Als dann die Behaarung noch fadenscheiniger wurde, trug er Hut. Auch abends vor dem Fernseher.
«Aber Mäxchen», schmollte Louise. «Du übertreibst nun wirklich... HAARE SIND DOCH WIRKLICH NICHT ALLES!» Dann gab sie ihm einen Kuss aufs Kinn. Und der Hut hatte Schieflage.
Erst mit Enkel Tobi kam die Wende. Auch Tobi lockte. Traumschön. «Er hat das Haar vom Opi», freute sich die Familie.
Aber Tobi fand das total uncool! Und tauchte eines Tages mit einem radikal vollrasierten Kahlschädel auf: «Ich habe euer Gesülze über mein Haar so etwas von satt. Ich bin doch nicht Marilyn Monroe...»
Auf diese Art hatte es Max noch nie betrachtet.
Er ging zu Schnittlein. Und kam mit glänzender Kugel zurück. Louise drückte ihm verzückt einen Kuss aufs Polierte: «Dass ich das noch erleben darf...»
Es war neben dem Diebstahl des Portemonnaies (samt Pass und Visa-Karte) damals in Cattolica das aufregendste Ereignis in dieser haarigen Ehe.

Montag, 16. Juli 2012