Gefährliches Alter...

Martha war in einem gefährlichen Alter. Das war sie aber schon lange. Doch es kümmerte sie wenig. Doch jetzt war sie auf einem durchweichten Stück Hundebiscuit ausgerutscht. ARMBRUCH. Und nach der Behandlung die Therapie.
Als Martha den jungen Mann zum ersten Mal sah, stockte ihr der Atem: «ZU SCHÖN, UM WAHR ZU SEIN!»
Er lächelte ihr zu: «Ich bin Toni? dann wollen wir mal...»
Neun Behandlungen hatte ihr die Kasse zugestanden. Sechs Mal eine Physiotherapie am frisch operierten Arm. NICHT MEHR. Wie alle Kassen hatte auch Marthas Privatversicherung die Leistungen abgebaut.
Toni griff die operierte Stelle fachkundig ab: «Tut das weh?»
«SEHR!», flüsterte Martha. Und beschloss, zumindest zwölf Behandlungen herauszuschinden.
«Ich bin ja nicht blöd», hatte sie ihrer Freundin Susi am Telefon durchgegeben, «... UND DANN DIESER TONI! Wenn der dir deine Knochen in seine goldenen Hände nimmt, JA HALLO!...»
«Ach Martheli...», seufzte Susi. Sie kannte deren gefährliches Alter. Das Faible für junge Männer.
Schon Egon, Marthas erster, war 18 Jahre jünger als seine Gattin gewesen. DIE HOCHZEIT HATTE DAMALS EINIGE AUFREGUNGEN VERURSACHT. «Er nimmt sie nur des Geldes wegen», zischelten die Freundinnen giftig wie ein Natternnest.
Als Egon dann in seinem Porsche (ein Geschenk Marthas zu seinem 30. Geburtstag) in Amalfi die Kurve kratzte und Martha ihn als vier Pfund Asche zurückbekam, wussten die Nattern: «Er ist nicht alleine im Wagen gesessen... ein Teil der Asche trug roten Lippenstift...» Natürlich war das mieser Klatsch, aber eben das, was neidische Frauen so untereinander rumtratschen.
Wunderbarerweise hatte Egon auf eine gegenseitige Lebensversicherung vor der Heirat bestanden. Die zwei Millionen trösteten Martha über den Verlust des Porsches hinweg.
Nach Egon kam Rolf. Ein etwas lahmer Schönling mit Hang zur Flasche. Der Unterschied zu Martha betrug 22 Jahre. Rolf stand glücklicherweise auf ältere Jahrgänge? nicht nur beim Bordeaux. Aber Martha vertrug die Promille besser. Und soff ihn in die Grube. Gottlob hatte er vor dem totalen Absturz die Lebensversicherung unterzeichnet.
Der nächste Ehemann wäre elegant als ihr Grosssohn durchgegangen. Sie ging mit Bruno auf eine Safari in den WWF-Park nach Kenia. Martha hatte «Nöggeli» (wie sie ihn nannte) mit den neusten Foto- und Filmapparaturen ausstaffiert, die für gutes Geld zu haben waren. Immer wieder munterte sie ihn auf, die herrliche Tierwelt ganz aus der Nähe digital zu konservieren. Bei der Nahaufnahme der Löwenmutter mit den beiden allerliebsten Jungen drückte Bruno dann etwas zu spät ab.
Es gab keine Überreste? die nun dreifache Witwe strich nach ihrer Rückkehr in die Schweiz den Jahresbeitrag für die «FREUNDE DES WWF». Sie verstaute die drei Millionen Versicherungsgeld im Heizungskeller. Sie war nun 82.
Marthas Arm war noch nicht ganz schmerzfrei, als sie ihn Toni reichte, der sie zum Traualtar führte. «NUN HAT SIE ABER DEN TOTALEN SCHUSS!», zischelten die Nattern. Und schickten Kondolenzbriefe, nachdem der Physio beim Bungee-Jumping das Gummiseil etwas zu lang bemessen hatte. Martha hatte den Sport immer «etwas gewagt», aber «so wunderbar männlich» gefunden. Sie hatte Toni bei seiner Gummibandhüpferei enthusiastisch unterstützt? vorher aber wurde noch der Versicherungsmann gerufen.
Als dieser Martha die neuen vier Millionen auszahlte, machte er ein ernstes Gesicht: «Wir müssen mit Ihnen reden, Frau Martha.»
«Ja?»
«Es ist wegen ihrer Krankenversicherung, die sie ja freundlicherweise auch bei uns haben...»
Der Mann hüstelte geniert, «also eigentlich hätten sie ja damals nur neun Therapiestunden zugute gehabt. Keine zwölf...»
Martha versprach, die drei Supplement-Behandlungen aus eigener Tasche zu berappen.
Dann rief sie das Spital an. Und schrieb sich bei Mirko in dessen Wasser-Gymnastik ein.
«EIN KÖRPER WIE MISTER UNIVERSUM», flötete Martha bei Susi.
«Ach Martheli!»
Mirko war knapp 19 Jahre alt, als er Martha den kleinen Silberring an den Finger steckte.
«Ich will, dass es dir einmal gut geht, Mirko», sagte die nun 83-jährige Ehefrau zum Jungen. «Ich bin in einem gefährlichen Alter. Wir schliessen eine gegenseitige Lebensversicherung ab!»
Mirko war leidenschaftlicher Fallschirmspringer.

Montag, 24. Oktober 2011