Freitags Fisch

Sheila erwartete ihn an der Haustüre.
Werner nahm sie zärtlich in die Arme: «Du Gute!»
Er drückte ihren Kopf an seine Brust. Und streichelte sie. Er liebte ihr feines, dünnes Haar, liebte ihre hellblauen, immer etwas fragenden Augen.
«... Und was werden wir denn heute essen?», sagte er und machte sich von ihr los.
Sie trippelte in die Küche. Und er lachte: «Ach Sheila... Freitag... natürlich Fisch. Du Gute!»
Vor Sheila war es Käthi gewesen. Sie waren zusammen in die Schule gegangen. Später hatten sie in derselben Clique Fasnacht gemacht. Die Heirat war vorprogrammiert gewesen.
Er liebte Käthis Kochkünste. Freitags gab es Fisch? und er sagte «du Gute», obwohl er Fisch nie gemocht hatte.
Der Gestank von eiweisszersetztem Kabeljau hatte ihm als Kind schon zu schaffen gemacht. Die Fische hatten damals einen langen Transportweg. Und ehrlich gesagt: SIE STANKEN, DASS GOTT ERBARM!
Seine Mutter briet die Stücke in Öl. Und richtete sie mit pflaumenweichen, leicht ergrauten Zwiebelringen an. Natürlich musste aufgegessen werden, was auf den Teller kam. AUCH DAS FISCHGRAUEN. Für solche Momente hasste er nicht nur den Fisch. Auch seine Mutter. «Weshalb kannst du mir an einem Freitag nicht einfach Spiegeleier braten?», begehrte er bei ihr als pubertierender Jüngling auf.
«Extrawürste gibt es nicht!», sagte sie.
Käthi briet dann freitags immer Sole-Filets in Butter. Sie beträufelte die weissen Streifen mit Zitronensaft. Und würzte mit Pfeffer nach.
Werner mochte auch diese Art von Fisch nicht. Trotzdem ass er auf. Als er einmal Spiegeleier vorschlug, lachte sie auf: «Aber, aber? KEINE EXTRAWÜRSTE, MEIN LIEBER!»
«Du Gute!», seufzte er.
Sie bekamen keine Kinder. Und eines Tages brachte Käthi einen Hund heim. Hektor. Es war ein kleiner Kläffer mit Pekinesengesicht.
Werner erging es bei Hunden wie mit Fischen? er mochte sie nicht. Er war der Katzen-Typ. Seit er als Kind von einem Dackel in die Hand gebissen wurde, wuchs da eine Phobie. Und es war, als spürte Hektor diese Phobie.
«Hektorchen? sei brav zu Papi», rief Käthi aus der Küche, wenn der Köter zu knurren begann, weil sich Werner auf die Couch setzen wollte.
Hektor durfte nun wie ein Kleinkind am Tisch sitzen. Und wurde von Käthi mit der Hand gefüttert. Hektor durfte auch bei Käthi schlafen («nur bis er gross ist»). Er wurde nie gross. Und Werner zog auf die Couch um.
Alles drehte sich jetzt um Hektorchen. Und als Werner an jenem Tag rückwärts aus der Garage fuhr, hatte er den Hund einfach nicht gesehen. Dies zumindest redete er sich und seiner Frau ein. «MÖRDER!»? schrie letztere immer wieder. Ersterer wurde ziemlich plattgedrückt kremiert.
«Hektor war ein Kindsersatz», sagten die Ärzte in der Klinik, aus der Käthi nie mehr entlassen wurde. Und bis zu ihrem Lebensende mit einem Stofftier spielte, das sie Hektor nannte.
Niemand machte Werner Vorwürfe. Oder hätte vor ihm das Wort «MÖRDER!» in den Mund genommen.
Dennoch fehlte ihm Käthi. Und manchmal sogar das Knurren von Hektorchen.
Er arrangierte sich. Und holte Sheila in die Wohnung.
Nun war diese in der Küche. Und wartete auf Werner.
«Ist ja Freitag... also Fisch, du Gute!», sagte er.
Dann öffnete er die Dose Katzenfutter mit dem Dorschgeschmack.
Und briet sich drei Spiegeleier.

Montag, 1. Oktober 2012