Fotokiste

Cousine Eva hat Zacken.
Und einen leichten Gelbstich.
Überdies präsentiert sich Evchen nackt. RUNDUM.
Die Arschbacken stehen hoch wie die Alpen. Und sie nuggelt mit einer Lust, dass man den Honig am Schnuller schmeckt.
Evchen liegt auf einem künstlichen Eisbärenfell. Und auf Evchen liegt Omi Meyer.
Sie bindet sich ein paar Bergschuhe. Der knöchellange Rock ist leicht nach oben verschoben. Der Voyeur sieht weisse Unterhosen, an deren Ende eine Spitzengarnitur blümelt. Dann sind da noch: Vater auf der Jungfrau.
Vater auf dem Schreckhorn.
Vater auf der kleinen Scheidegg.
Nur einmal ist da auch Mutter. Auf Ski.
Sie macht einen todunglücklichen Eindruck. Mutter hat die Latten immer auf der Latte gehabt.
Die Kiste mit all den Fotos habe ich im Estrich unseres Adelbodner Chalets entdeckt. Da staubte auch ein alter Eumig-Filmprojektor vor sich hin. Und Hunderte von kleinen Spulen beweisen, dass es eine Zeit vor dem Digitalchip gegeben hat.
«Wir sortieren alle schönen Bilder von mir, die wir behalten wollen? den Rest entsorgen wir», so ich.
Innocent: «WIR WERFEN ES LIEBER GLEICH UNBESEHEN WEG. SONST BLEIBST DU WIEDER AN DEN ERINNERUNGEN KLEBEN!»
Ich wollte kleben. Also trug ich Projektor, Fotokiste und Filmspulen in die Stube.
Und tauchte in die Vergangenheit ab.
Egomanisch und als Einzelkind zum rücksichtslosen Narzissmus erzogen, suchte ich nach mir. Aber es scheint, dass sich die Vergangenheit kein Bild von mir machen wollte. Nicht dass ich hässlich gewesen wäre. Immerhin rissen sich die Strickmusterheftchen um mich. Ich galt damals als Claudia Schiffer der Zwei-links-zweirechts-Maschen. Dennoch: nur Vater. Vater in den Bergen. Und nochmals Vater an der Todeswand. Vater auf dem Gletscher.
Und Vater am Seil. Ich beschloss, meinen Vater zu entsorgen. Dann fädelte ich die Schmalspurfilmrolle ein.
Doch auch hier: Vater, der mit Rucksack vorbeizuckelt... Vater, der mit verklärtem Blick ins unscharfe Weite schaut... Vater, der den Gipfel seines Glücks erklimmt.
Ich rufe Gertrude an. Sie hat als treue Freundin ein Leben lang die Familie begleitet:
«Ich grabe in Erinnerungen.»
«Aha»
«Aber da sind nur mein Vater und die Berge...»
Stille. Dann lakonisches Hüsteln. «Die Berge haben überlebt...»
«Kannst du mir sagen, weshalb meine Mutter oder ich auf keinem Film und keiner Foto sind?»
«Ihr habt doch beide die Berge gehasst.
Und deine Mutter auch Fotokameras.»
Okay. Das stimmt. Aber: «... es muss doch in unserer Familie noch andere Momente als Vaters Berge gegeben haben?»
Wieder Pause. Und Räuspern. «Was die anderen Ausflüge deines Vaters zur Natur betrifft, wahrte er Diskretion. Du musst mich entschuldigen? meine Wähe brennt an...»
Als ich die Tonnen von Fotos schon entsorgen wollte, flatterte da ein Schwarz-Weiss-Bild auf den Teppich. Es zeigte Vater, der meiner Mutter den Arm auf die Schulter legte und sie an sich zog? darunter das Kind, mit diesem Kameralächeln, das es einst weltberühmt machen sollte.
Ein sehr schönes Kind!
«INNOCENT? ich habe mich gefunden!»
Innocent warf einen flüchtigen Blick auf das Foto: «Ach, hatte deine Mutter wirklich Hasenzähne? UND WER IST DENN DIESER DICKE MOBS AN IHREM BAUCH?»
So wurden alle Fotos entsorgt.
UND DAS IST EINE SEHR TRAURIGE MONTAGSGESCHICHTE.
«Es muss doch in unserer Familie noch andere Momente als Vaters Berge gegeben haben...!»

Montag, 31. August 2009