Fliegen

Fliegen ist uncool geworden.
Uncool ist kein schönes Wort. Deshalb deutlich: Fliegen ist Scheisse.
Wir wollen jetzt nicht die Nostalgie runterbeamen. Aber ehrlich? früher war Abheben schön: nette Hostessen, der Duft von brutzelnden Spiegeleiern aus der Cockpit-Küche und eine halb leere Swissair, die zwar so ins chaotische Defizit abhob, für den Passagier aber den Hauch von «exklusiv» und «Nur Fliegen ist schöner»-Feeling verströmte.
Heute: WARTEZEITEN. WARTEZEITEN. WARTEZEITEN.
Du stehst beim Check-in Schlange. Du stehst vor der «Haben Sie eine Pistole oder Flüssiges dabei?»-Frage Schlange. Du stehst dir für einen Becher Cola an der Flughafenbar die Beine in den Bauch. Natürlich streiken die französischen Fluglotsen. Da wartest du schon mal fünf Stunden vor dem Gate und schaust zu all den Maschinen, die keinen Schwanz heben.
Bei der Ankunft hat das Bodenpersonal Gewerkschaftsgrippe. Und wie das Rollband endlich seine Rolle spielt, speit es alles Unschöne aus. NUR NIE DEINEN KOFFER. Du willst schliesslich den Verlust melden, aber die Schalter sind bereits geschlossen.
Am schlimmsten aber schlägt das Schicksal zu, wenn der Computer dich neben eine Mutter mit Kleinkind platziert hat. Das Kind heisst Emmilie. Es ist das Hässlichste, was mir je unter die Augen gekommen ist. Ich weiss, dass Kleinkinder nie hässlich sind? ABER HABEN SIE ETWA EMMILIE NEBEN SICH GEHABT? Na also!
Ich gebe mich gelassen und tue, als wäre Emmilie nicht da. Ebenso gut hätte ich in Zermatt das Matterhorn übersehen können. Schon turnt die Kleine zu mir rüber, zieht an meinem Haar und bringt alle diese Mèchen durcheinander, für die ich eine ganze Kolumnengage hingeblättert habe.
DERWEIL HOCKT DIE MUTTER AM FENSTER. SIE HAT IN EINER FEMINISTEN-ZEITSCHRIFT DEN LEITARTIKEL «DIE VERANTWORTUNG DES MANNES BEIM INTIMSPIEL» ANGEPEILT. Und ihr Blick steht klar und deutlich auf Rotlicht:
BITTE NICHT STÖREN.
Die Kleine hockt schon auf meinem Schoss und macht mit dem Schnauzhaar «kille, kille».
In mir kochts. Und ich killekille auch bald. «Könnten Sie vielleicht Ihr Kind...», flüster ich zum Fenstersitz. «Bist du blind? Schnallst du nicht, dass ich lese...», zischt es zurück. Emmilie kreischt vergnügt. Und steht mir mit ihren Strampelfüsschen in die Kontaktlinsen.
Emmilie macht grosse Augen, wie das Flugzeug abhebt. Dann dreht das gute Kind seinen Kopf mit den entsetzlich schielenden Augen zu mir. Für einen kurzen Moment scheint der Blick der Kleinen ungetrübt und geradlinig? direkt auf mich gerichtet. Drei Sekunden später habe ich Emmilies Frühstück auf dem Hemd, dem frisch gebügelten...
Nachdem die Crew mich abgespritzt und die Mutter meine tosenden Proteste mit «Jetzt krieg dich wieder ein, du Tucken- Ei!» abgefedert hat, legt Emmilie mit einer Brüllerei los, die bis zur Landung andauert. Und meinen ganzen Notvorrat an Valium forte kostet.
Beim Verlassen des Flugzeuges schaute mich die Mutter schliesslich giftig an:
«Gut, dass so etwas wie du keine Kinder kriegen kann!»
Natürlich streikten die Römer Taxifahrer. Ich stand einmal mehr ohnmächtig in einer Schlange. Emmilie und Mutter wurden von einem über und über tätowierten Bizeps-Body abgeholt. Dies mit einem klapprigen Fiat-500-Untersatz.
«Willste mitfahren, Opi...?»? Emmilies Mutter grinste aus dem halb offenen Fenster.
Da wollte ich mal nicht so sein. Drückte mich ins Blech. Und ab ging die Post.
Emmilie übergab sich noch drei Mal, das gute Kind.

Montag, 29. März 2010