Ferien

Ferien sind der Orgasmus des Jahres.
Monatelang arbeitet man daraufhin. Und wenn es so weit ist, fiebern die Erwartungshaltungen zumeist ins Unermessliche. Die Sinne sind getrübt. Und man schwärmt: «Ach könnte es immer so sein...»
Keiner nervt sich. Jeder tiefgekühlte Fisch, der hier mit einem müden Zitronenschnitz und wachem Kellnergeplänkel («iss frisch von Mare... hat heute geangelet!») aufpoliert wird, kommt vor die iPhone-Linse: Und schon schwimmt die Findus-Makrele als MMS bei den Freunden an: «DIE WISSEN HIER NOCH ZU LEBEN!»
Nun liegt es in der Natur des Dings, dass der Orgasmus nicht allzu lange anhält. Der Kater kommt danach. Und auch das Lamento nach der Rückkehr bei den Freunden: «Ein solches Leben wünschte ich mir... weshalb kann es bei uns nicht so sein... wenn ich die Rente habe, ziehe ich an die Sonne...» Ok. Zieh nur. Und grüss mir den Tiefkühlfisch mit Zitrone.
Mir sind in meinen jungen Jahren schon die 68er-Tramper auf den Keks gegangen, wenn sie von dem geruhsamen Leben in Indien geschwärmt haben: «Man lebt fast umsonst!»? Ich konnte mir schon damals nicht vorstellen, dass die Inder es ähnlich sehen.
So nun auch in Italien. Badeanstalten, Boutiquen und Ristoranti sind leer? weil: leider auch das Portemonnaie!
Nur selten noch verirren sich ein paar AHV-Deutsche oder Zwei-Bett-Zimmer-Schweizer in die Strandstuhlreihen. Die Nordländer freuen sich, dass es «fast keine Touristen hat». Und tätscheln den Bademeister am Arm: «Poveri Italiani, hehe! Fussball finito, hehe! Niente mehr Pinkepinke...»
Auch auf unserer Insel ist der Tourismus fast weggestorben. Wo einst vier Kellner herumwuselten, hat man die Nonna vor dem Fernseher weggeholt, damit sie wie früher den Service macht. SO MUSS SICH DENN WIRKLICH KEINER WUNDERN, DASS IM LAND DER NÖTE MEINE APRIKOSEN GESTOHLEN WURDEN!
Kam so: Ich hatte den schönsten Aprikosenbaum des Ortes. Jeden Tag ging ich hin. Drückte an den bereits rötlichen Kugeln herum. Und wurde von unserem Gärtner Gianni zusammengestaucht: «Troppo presto... non sono ancora mature...» Mit andern Worten: «Hände weg, du verfressenes Schwein!»
Ich ging zwei Tage aufs Festland. Kam zurück. Und. ALLE APRIKOSEN WEG!
Gianni gibt die Schuld dem bösen Fuchs. Alle Füchse würden Aprikosen stehlen. «Du bist der Fuchs!», tobe ich und übertöne die Wogen des Meeres.
Gianni zieht beleidigt ab. Er lasse sich nicht «Gauner» schimpfen. Am andern Tag ist meine Butan-Gasleitung kaputt. Aber mein Stolz nicht. SABOTAGE ODER GAUNER? Ich weiss es nicht. Aber es gibt keinen Rückzieher? UND ICH WERDE GIANNI NICHT UM HILFE BITTEN! Wir gehen also zum Nachtessen ins kleine Strandristorante, wo Graziano Tagesplättchen und kleine Fischspezialitäten serviert. Graziano ist der Junge von Gianni.
Am Nebentisch sitzt ein älteres Schweizer Ehepaar. Er: «Ist das nicht traumschön hier... die Leute wissen gar nicht, wie schön sie es haben... und der herrliche Fisch!» Es war Findus.
Schliesslich kommt Giannis Sohn, strahlt sie an: «Als Dessert schlage ich eine Crostata di Albicocche vor...» APRIKOSENKUCHEN? Natürlich habe ich auch vom Aprikosenkuchen bestellt. So bin ich dann doch noch zu meinen Früchten gekommen.
Immerhin war Giannis Sohn so anständig, uns den Kuchen zu offerieren. Und Gianni hat am Tag danach wortlos die Gasleitung repariert...
P.S.: Das Ehepaar schickte ein MMS mit dem Tortenstück-Bild in die Schweiz: «Das sind Aprikosen! Gruss Guschti und Hildi.» Wie gesagt? es waren eigentlich gestohlene Schweizer Aprikosen am italienischen Strand. Aber in den Ferien glaubt der Glückselige nicht das, was er sieht. Sondern das, was er sehen will...
Es liegt in der Natur des Dings, dass der Orgasmus nicht allzu lange anhält.

Montag, 12. Juli 2010