Es ist noch Suppe da

Es ist noch Suppe da!
EBEN NICHT. Das Suppen-Liedlein hat ausgeliedelt. Und Lidl-Suppen sind im Beutel. KEINE HAUSMACHER SUPPENKULTUR MEHR! Hausgemachtes gibt es nur noch vom Hobbymarkt.
Traurig. Aber die Schöpfung nach den Halb-ein-Uhr-Nachrichten findet nicht mehr statt. Es gibt jetzt «einen kleinen Salat». Oder «eine halbe Grapefruit. ROSA». Aber Suppe?
Wenn du Glück hast, schickt dir der Küchenchef ein kleines Grüsslein aus der Küche. Das ist dann ein Fingerhut voller «Velouté vom fangfrischen Hummer».
MIR WÄRE EIN GROSSER TELLER MIT GRIESSSUPPE LIEBER.
Doch wer kocht heute schon noch Griesssuppen? Das hatte nur die Kembserweg-Omi so richtig drauf. Jetzt knie ich vor ihrem Grab. Büschle ein Stöckchen mit Parmaveilchen vor dem Stein «SIE WAR DAS SCHÖPFERISCHE TALENT DER FAMILIE» zurecht. Und überschütte sie mit Vorwürfen: «WO IST DAS REZEPT DEINER BROTSUPPE?!»
Es war nach ihrem Tode so unauffindbar wie die zwölf Früchtetellerchen mit den apfelkauenden Zwergen drauf.
ICH HÄTTE BEIDES GERNE GEHABT.
Das Einzige, das mir die Omi netto vererbt hatte, war ihr Credo vom Tag: «Keine Suppe wird so heiss gegessen, wie sie gekocht wurde...»
NA, DA HABE ICH JETZT ABER VIEL DAVON!
Die Omi hat noch handgesuppt. Ich meine: MIT BEUTELN WAR DA NICHTS! Sie sammelte alten Zopf und vergammelte Schnitten, um daraus ihre berühmte Brotsuppe einzubrocken. Die kam dann mit viel geschnipseltem Schnittlauch und dem Spruch: «Ich habe euch ein Süppchen eingebrockt? auslöffeln müsst ihr es schon selber» auf den Tisch.
Wie ein Tambourmajor stand die Omi am Tischende? die linke Hand in die üppige Hüfte gestemmt, in der rechten die Kelle. Hatte die automatische Uhr ihren letzten, hohen Ton drauf und damit die Halb-ein-Uhr-Nachrichten angekündigt, tauchte sie die Kelle in die dampfende, weisse Suppenschüssel. Und schöpfte. Sie, die bei anderen Leuten auf den Knien putzen ging, strahlte in diesem Moment eine so starke Aura und Selbstsicherheit aus, wie man dies heute niemandem in einem «Manager in 6 days»- Masterkurs einpauken kann.
Als die Omi ihren einzigen und geliebten Sohn ihrer Schwiegertochter wie ein gross gewordenes Mädchen den Teddybären dem Dritt-Welt-Sack heulend übergab, schnüffelte sie: «Charlotte? er ist ein schwieriges Kind. Und ein schlechter Esser. Aber mit Suppe liegst du immer auf der richtigen Seite!»
Vater lag dann trotzdem stets anderweitig rum. Und dies mag sehr wohl an der Suppe gelegen haben, welche die Generation meiner Mutter plötzlich nicht mehr aus in Öl angezogenen Zwiebelchen, Fleischbrühe und geröstetem Griess entwickelte, sondern wo das Schnellglück aus dem Beutel kam. Und mit einem Schwingbesen in einem Liter Wasser pro Säcklein aufgerührt wurde.
Vater floh zu diversen alten Pfannen? und erhoffte sich dort das Glück, das ihm einst seine liebe Mutter präzise auf den Nachrichtenpiepser hin eingebrockt hatte. Natürlich versalzte ihm seine Gattin solche amourösen Süppchen, indem sie drohte, den Gewerkschaftsvorstand darüber zu informieren, dass er am Topf einer Kapitalistin naschen würde. Also löffelte der Arme weiterhin «Erbs-mit-Speck» von Tante Knorr. Und schüttete Maggi darüber, wie der Pfarrer das Weihwasser über den Sarg.
«Versuch doch zuerst!», rief meine Mutter jedes Mal genervt. Ihr ging die maggiavellige Maggio-Art ihres Gatten schon längst auf den Keks. Aber sie hatte kein Brot gegen das einzige Kind meiner Grossmutter, das (wie jene ja gewarnt hatte) «ein schwieriger Esser» war.
Als die Omi an einem Sonntagsbesuch die Schnellbeutel-Kreationen meiner Mutter testete, zog sie die Luft durch die Zähne, liess diese wie Kastagnetten im Finale klappern und schüttete ihren Tellerinhalt in die Spüle. «Charlotte? ich rate dir eins: Mach wenigstens in Butter geröstete Brotwürfel dran!»
Heute gibt es diese wunderbaren Dinge wie Suppenbars. Und Suppentage. Ok. Die Süppchen schmecken dort wunderbar. ABER NIE WIE BEI DER OMI.
Vater würde zum Maggi-Fläschlein greifen? und Mutter sagen: «Was habt ihr denn?! Es gibt verdammt nochmal genügend andere Probleme auf dieser Welt als Suppen!»
Omi hätte sehr bestimmt gekontert: «Ach ja? Charlotte? die Welt wird immer wieder ein Süppchen auslöffeln müssen, welches sie sich eingebrockt hat...»

Montag, 21. März 2011