Ein Spiel für Beschränkte

O.k. Der Tag ist verschissen.
ES ist nicht aufgegangen. Nun läuft ER rum wie ein unausgegossenes Gewitter.
NICHT ZU REDEN MIT IHM!
Ständig murmelt er unverständliche Worte und Sätze wie «algorithmisch stimmt das nicht». Oder «die 3 ist doch der richtige Kandidat!».
SO ETWAS BEUNRUHIGT DOCH SEHR.
In der Anfangsphase habe ich die Ursache falsch gesehen - oder eben: des Rätsels Lösung verkehrt angegangen. Ich habe ihm dann über den Kopf gestreichelt und gesagt: «Ich bleibe bei dir, auch wenn die Börse zusammengekracht ist?»
ER SAGTE KEIN EINZIGES WORT.
Innocent schaute nur stumm durch mich hindurch. Jagte dann wie von der Tarantel gestochen zur Couch, auf der die Tageszeitung sowie ein Bleistift mit angelötetem Radiergummistöpsel lagen. «DIE -5 - IST ES!», jubelte er. «ICH HABE DIE 3 IN DER ZWEITEN REIHE ÜBERSEHEN!»
Dann rubbelte er wie wahnsinnig mit dem Gumminippel Zahlen weg. Setzte neue ein. Seufzte zufrieden: «So. Aufgegangen?»
DIE WELT WAR WIEDER IN ORDNUNG.
Diesmal aber ist es in die Hosen gegangen.
Irgendetwas ging in diesem Kasten schief. In einer Linie waren zwei 6er. Und wer mit der Basler Tramsituation vertraut ist, würde sich ja glücklich schreiben, wenn da mal zwei 6er in einer Linie kämen. ABER DAS HIER IST ETWAS GANZ ANDERES. Mathematik im Spielformat.
Schon als Kinder hat uns Pauker Salathé die Algebra als Spiel schmackhaft machen wollen.
NICHT MIT MIR.
Ich weiss, wann der Lebertran nach altem Fisch schmeckt. Da können sie diesen noch so lange mit Orangensaft ummänteln.
Innocent hockt bereits wieder auf der Couch. Jongliert Zahlen. Gummelt sie weg. Setzt neue ein. Und wills jetzt intuitiv versuchen.
INTUITIV?
Das von einem, der bei Beerdigungen intuitiv zu Kärtchen «HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH» greift. Wenn er sich auf seine Intuition verlässt, können wir gleich mal eine Gummiplantage für die Radierung bestellen.
Ich weiss nicht, wer für diesen SUDOKULT verantwortlich ist. Aber wenn ich den Herrn zwischen den Händen hätte, würde ich ihm auch mal den Radiergummi reiben.
Meine intellektuelleren Freunde, richtige Sudokünstler, faseln mir etwas von Japan. Und das Ganze heisse eigentlich: «Suji wa dokushin ni kagiru.»
Da wir ja alle dieser blumigen Sprache kundig sind, wissen wir, dass dies so viel wie «Zahlen als Einzel beschränken» bedeutet.
Man kann also ruhig von einem Spiel der Beschränkten reden.
Der Ursprung dieses Ziffernsalats steckt ausgerechnet in Basel. Und zwar bei Herrn Leonhard Euler. Der Mathematiker hat bereits im 18. Jahrhundert sogenannte «Carrés Latins» ausgeklügelt. UND DAS KLÜGELTE ER SO GESCHICKT, DASS DANN AUCH EINE STRASSE NACH IHM BENANNT WURDE.
Ab 1892 hat das französische Blättchen «La France» täglich ein «Carré magique diabolique» abgedruckt. Doch erst 1984 gelang dem Zahlenrätsel der Durchbruch. Das war in Japan. In der Tageszeitung «Nikoli». Was kann man von einem Land, wo sie sich ins frisch gewetzte Schwert stürzen, anderes erwarten?
Seither bete ich jeden Tag zu den Himmlischen, ER möge doch machen, dass ES aufgeht.
Dann ist Innocent glücklich. Und kauft mir die kleine Rolex doch.

Montag, 7. August 2006