Die Sparsau

«Haben wirs nicht gut, Mutti?»
Sie hasste es, wenn er sie Mutti nannte.
«Ja, Hugo!»
Lore drehte sich auf ihrem Badetuch. Der grobe Kies knirschte. Und Lore knirschte auch.
400 Meter weiter wäre eine feudale Strandanlage gewesen. Sand, so weit das Auge reichte. Sonnenschirme.
Und hübsche Kellner, die farbenfrohe Cocktails mit Papierschirmchen zu den Liegestühlen balancierten.
HIER JEDOCH: KIES! LINDENBLÜTENTEE. UND KÜHLBOX MIT WURSTBROT.
Die Steine pieksten sie wie ein Nagelbrett in ihre Weichteile. JA WAR SIE DENN EIN FAKIR! Nein.
Sie war Lore Huber auf Mallorca. UND DORT AUSGERECHNET AM ÖFFENTLICHEN STRAND!
«SPARSAU!», knurrte sie.
«Ja, Mutti?»
«Nichts!»
Sie nannte Hugo in Gedanken immer wieder «die Sparsau». Zum einen, weil das Geld in seinen Fingern haften blieb, als hätte er diese mit Dauerkleber eingerieben. Zum andern, weil die Jahre sich in seine Backen gesetzt und aus dem etwas verbissenen Buchhaltergesicht einen leicht überfetteten Schweinekopf gemacht hatten. Lore stützte sich mühsam auf die Kühlbox und hangelte sich hoch.
Ein paar Steinchen steckten in ihren geröteten Schenkeln.
Hugo lachte fröhlich. «Mutti, Du siehst aus wie das Mosaik in Ravenna? ist das nicht lustig!?»
Lore war nun auf 100. Sie hätte die Sparsau am liebsten geschlachtet. «Ja, Hans», sagte sie. Und ging in die kleine Pension zurück!
Klar, dass sich Hugo und Lore ein gutes Hotel oder den Sandstrand mit den netten Kellnern drauf locker hätten leisten können. Aber die Sparsau schrieb da ihre eigene Buchhaltung: «Wir sparen für das Alter, Mutti. Du weisst ja, was Altenheime kosten. Und da wollen wir es doch mal schön haben...»
Sie waren nun 68 und 77. DIE SPARSAU SPARTE IMMER NOCH. Deshalb: öffentlicher Strand mit Hundedreck. Und Pensionszimmerchen ohne Klimaanlage, aber mit Kakerlaken im Bad.
Am andern Tag trug Lore den kleinen Brillantring am Finger. 2,5 Karat. Ihre Mutter hatte ihn ihr auf dem Sterbebett hinterlassen: «Er soll dir Glück bringen... und wenn du mal von deinem Ekel genug hast, versetze den Klunker. Für ein Jahr reichts...»
Dann hatte sie der Tochter die Hand gedrückt.
Und sich in eine bessere Welt verabschiedet.
«Aber Mutti? DER TEURE RING! Du willst doch nicht damit schwimmen gehen...», rief Hugo am Steinstrand.
Wortlos schwamm Lore ins blaue Meer hinaus? und kam nach einer Viertelstunde jammernd zurück. «Ach Hugo? er ist mir vom Finger gerutscht. Dort draussen...!»
Hugo sprang auf. Brüllte seine Frau an: «DU DUMME KUH! ICH HABS DOCH GESAGT!»
«Ja, Hugo!»
Er war kein guter Schwimmer. Nie gewesen. Aber 2,5 Karat waren stärker als alle Vernunft.
Lore sah, wie ihr Mann immer wieder abtauchte, wie sein rosiges, fettes Fleisch in den Wellen unterging. Und: «... es war unser Verlobungsring!», weinte sie bei den Polizisten. «Er wollte ihn mir doch zurückholen...»
Am andern Tag liess sie sich am Sandstrand von einem hübschen Kellner einen bunten Cocktail ans Liegebett bringen. In Gedenken an Hugo hatte sie sich einen «Blue Paradise» bestellt. Mit Schirmchen drauf.
Der Service-Boy schaute bewundernd auf ihre Finger. «Ein herrlicher Ring, Senora...»
Lore lächelte. «Ein Glücksbringer meiner Mutter!»

Montag, 9. Juli 2012