Die Sache mit Tildy

Cousine Tildy hatte in Miami gelebt. Tildy war schon immer ein verrücktes Huhn gewesen. Als kleines Mädchen schrieb sie auf den Weihnachtswunschzettel: 1 PAAR HÖCKERS. 1 LENDENSCHUTZ.
Das Christkind brachte eine scheussliche Puppe, auf der stand: «ICH HEISSE DORA!» Tildy killte Dora noch vor dem Stephanstag.
Mit zehn Lenzen fuhr Tildy Gokart. Tanten und Onkels seufzten: «Die armen Eltern!»
Es war damals eben ganz anders, anders zu sein. Irgendwie schriller. Spannender. Und entsprechend wurde Tildy meine fünf Jahre ältere Lieblingscousine. Wir spielten an den Wochenenden «Hochzeitsfest». Dreimal dürft ihr raten, wer die kleine Braut abgab.
Mit 18 verliess Tildy? bildschön und mit abgeschlossener Schlosserlehre? die kleine Stadt, um in Amerika nach Schlössern zu schauen.
Ich wills kurz machen: Sie lernte in Boston Ed kennen. Ed besass das Schloss, von dem Tildy stets geträumt hatte. Und an dem es einiges zu verbessern gab. Es war ein altes Eisentorschloss aus dem frühen 18. Jahrhundert. Vermutlich hat 200 Jahre lang nie einer das Torschloss mit Öl gelabt. Jedenfalls bockte es. Tildy kam. Sah Ed. Und öffnete nicht nur das Schloss...
Die Hochzeit war protzig und hätte ein Final aus «Desperate Housewives» sein können. Die Basler Verwandtschaft zuckelte während des 18-stündigen Rückflugs mit den Zeigefingern und zischelte wie ein ganzes Schlangennest: «... wie kann man auch... in diesem Miami wird ja entsetzlich geprotzt... und habt ihr den Klunker des Ehemanns gesehen?» Aber ich (kaum auspubertiert) hatte alles irr schick gefunden. DER WAHHHHN!
Tildy langweilte sich als reiche Schloss-Frau bald einmal in Miami. Sie schrieb jämmerliche Briefe wie etwa: «... schicke mir den Schlafzimmerschleier von Kembserweg-Omi, damit ich reinflennen kann!»
Ihr Mann Ed (von Tildy «my Mausi» gerufen) sorgte zwar als Dragqueen an «Parties for good friends» für kurze Momente der Abwechslung? das Schicksal schickte ihm aber einen Lastwagenchauffeur über den Weg. Ed litt nur kurz? sein letzter Schrei soll «Ohhh? my beautiful dress!» gewesen sein, als die dicken Räder auch schon darüber fuhren, die Pailletten wie einen orgastischen Glimmerregen herumwirbeln liessen? und Ed flundernflach am Boden liegen blieb.
TILDY SCHLOSSERTE IHRER DRAG-QUEEN-MAUS EIN MAUSILEUM. Und widmete sich fortan der Kunst. Und war bald einmal für eine gute Nase bei jungen Künstlern bekannt.
Da Tildy keine Kinder hatte, wähnte ich mich in seligen Momenten als künftigen Erben einer grossen Kunstsammlung und eines Schlosses in Miami.
Als dann die Nachricht über den Teich kam, Tildy sei Mausi gefolgt, rüschte ich mich auf. Und flog nach Miami. Bob nahm mich in Empfang. Er war Mausis und Tildys Anwalt gewesen. Und er verlas das Testament. TILDY HATTE ALLES EINER STIFTUNG «ZUR ERLEICHTERUNG DES LESBISCHEN COMING-OUTS» VERMACHT.
20 Millionen gingen überdies an die «Vereinigung pensionierter Dragqueens und deren Kleinhunde».
Der Anwalt übergab mir ein Paket: «Mrs Tildy wollte, dass ich es Ihnen persönlich gebe...»
ES WAR DER DURCHHEULTE SCHLAFZIMMERVORHANG, DER UNS VOR ÜBER EINEM HALBEN JAHRHUNDERT ALS TRAUSCHLEIER GEDIENT HATTE. Daran steckte ein Zettel: Lass dir nie Puppen aufzwingen!
Ich sage euch eins: Hätte man ihr damals die Höckers statt dieser vermaledeiten Dora geschenkt, wäre alles anders gekommen...

Montag, 8. November 2010