Natürlich humpelte Innocent an der Rose vorbei. Er kennt nur eine Art von Rosen. Die Arthrose. Mit der hält er seine kleine Welt auf Stock und Trab.
DANEBEN IST KEIN PLATZ FÜR DAS SCHÖNE DER NATUR!
Da muss sich dann keiner wundern, wenn in der Umgebung die Neurosen blühn.
«Schau dir diese Rose an!» - rufe ich Innocent zu. Der steht bereits beim Eingang zum Hopfenkranz. Der Hopfen blüht ihm lieber als die Rose. «Rose ist Rose», trompetet er. TYPISCH. Dieser Mistkerl hat das Feingefühl einer Distel.
«Sie ist fast violett...» rufe ich in Richtung Hopfenkranz. Aber es ist hopfnungslos. Schon stösst Innocent mit seiner linken Krücke die Türe zur Beiz auf - da reitet mich der Teufel: «WENN DU MICH WIRKLICH LIEBST, HOLST DU MIR DIESE ROSE!»
Also erstens ist das natürlich absolut doof. TUNTENWEICH. Danke. Das weiss ich selber. Zweitens benehme ich mich da wie jede dumme Tussi mit dem IQ eines Wüstenflohs. Aber drittens: ICH KANN NICHT ANDERS. ES IST STÄRKER ALS ICH. VERZEIHT MIR!
Innocent kommt bebend vor Wut dahergerasselt. Er wedelt stocksauer mit dem Stock: «Bist du übergeschnappt! Der Loppacher hats gerade noch gehört. Jetzt erzählt ers am Jasstisch. Und morgen weiss es das ganze Quartier!»
Nun werde ich weinerlich: «... nie schenkst du mir eine Rose. IN 37 JAHREN ZWEI CAROLL-RÖSCHEN. UND DIE WAREN AKTION.» Dann: «Ich bin doch auch nur ein Mann! Eben», zischt Innocent, «wo kämen wir denn hin, wenn Männer einander Rosen schenken würden! Männer geben einander eine Flasche Wein. Oder im Notfall Pralinen. Aber ROSEN - du spinnst total!» Aus ists mit dem Weinerlichen. Jetzt gehen mir die Pferde durch: «DU ERZVERBETONIERTER REAKTIONÄR! Die Zeiten haben sich geändert. Heute kann ein Kerl ruhig mal einem andern Mann eine Rose schenken, ohne dass gleich Hochzeitsglocken läuten müssen!» «ABER NICHT AUS EINEM FREMDEN GARTEN!» - tost nun auch Innocent. «DAS IST DIEBSTAHL!»
«Du riskierst einfach nie etwas für mich», jammere ich in der Phonstärke eines Stadionlautsprechers, «IMMER NUR AN DER BÖRSE!» In diesem Moment humpelt ein älterer Herr mit dickem Bauch, aber jackenlos und mit Hosenträgern so breit wie ein Fussgängerstreifen auf uns zu. Er hat unter der Hopfenkranztüre den Streit beobachtet: «Was ist hier los?!»
Innocent hüstelt mit hochrotem Kopf: «ähemm? alles Theater... will... ähemm... diiiese... Roose... ähemmm». Da schaut mich der Hosenträger-Dickbauch fröhlich an: «Sie wollen diese Rose haben?»
«Ähemm!», flüstre ich.
«Na dann!», sagt er. Öffnet das Gartentor. Und zwickt die Schöne einfach ab: «Hier - weshalb soll ein Mann nicht einmal einem andern Mann eine Rose schenken!»
Ich werfe einen triumphierenden Blick in Richtung Krücken und Elend. Meine Augen sagen alles: Da hat einer für mich Haut und Kopf riskiert. Wurde zum Dieb. Hat fremdes Gut betreten, nur um mir eine Rose zu pflücken - und DUUUUUU?!»
Im Parterre des Hauses wird ein Fenster geöffnet. Eine Frau in Lockenwicklern keift in die Sonntagsruhe: «Helmuth - weshalb hast du in unserm Garten diese schöne Rose abgeschnitten? Und weshalb gibst du sie diesem alten, dicken Mann?!»
Was ich damit sagen wollte: Schenkt weiter Pralinen!