Die Rache...

Max betrog sie.
Mit ihrer besten Freundin Annick. So fühlte sich Alice gleich zweimal total verarscht.
UND SCHRIE NACH RACHE.
Als Max im alten Luftschutzkeller der Villa seine Modelleisenbahn aufbaute, tat Alice dies als «Bubentraum eines alten Esels» ab. Bald richtete er sich neben den vorbeizischenden Lokomotiven eine Couch ein: «Da kann ich ungestört mein Nickerchen machen.» ? NICKERCHEN! HA!
Klar. Annick hatte immer ein Auge auf Max geworfen. Um ehrlich zu sein: Annick war seine erste Freundin. Und Alice hatte ihr Max bei einer Silvesterfete ausgespannt. Liebe ist stärker als Ethik.
Aber sie blieben Freundinnen. Beste Freundinnen sogar.
So war alles im Lot, bis zu jenem Tag, als Alice von einem Opernbesuch früher nach Hause kam (diese Regie, welche die Priesterin Norma zu einer Widerstandskämpferin im Dritten Reich machte ? nein danke!) DAS MUSSTE SIE WIRKLICH NICHT HABEN.
Im Haus wars seltsam still. Seltsamerweise stand die Türe zum Luftschutzkeller offen.
Alice lauschte.
Sie hörte jedoch kein Zischen von vorbeifahrenden Modellzügen. Nur ein Fiepen und Quieken.
UND DAZU DAS MONOTONE «DLING- DLING-DLING» DER SPIRALFEDERN DES NICKERCHEN-DIWANS.
Als Erstes sah Alice dann ein schwarzes Höschen am Boden liegen. Schliesslich das rote Gesicht von Max. Er hatte die Augen geschlossen. Und ? «dling-dling-dling» stöhnten die Spiralfedern.
Sie stöhnten nicht alleine.
Alice zog sich stumm und glühend vor Wut zurück.
TAGELANG FEILTE SIE AN IHREM RACHEPLAN.
Dann war es so weit.
«Ich bin heute im Konzert», gab sie ihrem Gatten Bescheid. Max wünschte ihr «einen schönen Abend». Und rief sofort Annick an. Dann rüstete er die Couch.
Als die Ouvertüre ? «dling-dling-dling!» ? begann, liess Alice die Steintüre zum Luftschutzkeller zukrachen.
Das «dling-dling-dling» setzte abrupt ab. So, als hätte der Dirigent die ersten Geiger abgewinkt. Alice drehte zweimal den Schlüssel: «Frohe Fahrt, ich fliege nach Mallorca!», brüllte sie. Und steckte den Schlüssel in die Reisetasche. In der zweiten Woche schrieb Alice dann eine Ansichtskarte. Dazu eine Zeile: «Dort, wo das Kreuz ist, wohne ich!»
In der dritten Woche kam sie braun gebrannt heim. Sie wusste, was sie erwartete. Und kannte ihren Text («Herr Kommissar ? wie schrecklich?ein Unfall? der arme Max und meine liebe Annick? die schwere Türe muss ins Schloss gefallen sein?»).
Vorsichtig öffnete sie die Türe. Und betrat den Tatort. Ihre inneren Antennen signalisierten GEFAHR. Und ihre Augen suchten die beiden Opfer.
DA WAR ABER NUR DIE COUCH. Und ein Elektrozug, der sich plötzlich auf die Fahrt machte.
Jetzt hörte Alice die Türe ins Schloss krachen. Und die hysterisch lachende Stimme von Max. «I c h hatte einen Ersatzschlüssel. Und du? Ich glaube, der steckt da draussen mit deinen Fingerabdrücken?»
«Gute Reise ins Jenseits?» ? flötete Annick fröhlich. «Machs dir auf der Couch bequem. Bequem stirbt es sich am schönsten?»
Alice spürte, wie ihre Beine nachgaben. Sie sank auf das Sofa. Und «dling-dling-dling» ? grüssten die Spiralfedern.
Ein letzter Gruss.
Der allerletzte kam aus Miami: «Dort, wo das Kreuz ist, wohnen wir?»
Aber diese Postkarte hat Alice dann nicht mehr gesehen.

Montag, 23. September 2013