Sie war ein fröhliches Ding gewesen. Ein Heitergemüt.
«Mein Frohfloh», hatte sie ihre Mutter zärtlich gerufen.
Weniger romantisch sah das ihre Gymnasial- klasse: «Lachsack-Susi!» Mit ihrem perlenden Gegagger konnte sie den andern schon auch mal zünftig auf den Sack gehen.
Ihre Frohnatur verpflichtete. Keine Hochzeit, an der sie nicht die Polonaise anführte. Kein Geburtstag, an dem sie nicht als Putzsuse dem Jubilaren 25 Requisiten mit gereimtem Witz in den Arm drückte. Wenn Susi am Stubentisch die Verse zusammenschusterte, ertönte immer wieder ein leises Kichern. Susi war ihr fröhlichster Zuhörer. FÜR SUSI WAR DIE WELT EINE EINZIGE TORTENSCHLACHT. SIE SAH NUR DIE KANDIERTEN KIRSCHEN.
An Beerdigungen stand sie zwar mit geschlossenen Lippen am Sarg. Ihre Augen aber standen strahlend weit offen.
Leute, die über ihre Frohnatur nicht im Bilde waren, schüttelten? «zzzz!»? den Kopf. Und dachten, sie hätte geerbt.
Bereits auf dem Weg zum «kalten Teller» erklärte Susi dann jedem warmherzig den Grund ihrer Heiterkeit: «Es ist ihm gut gegangen? so hat er nicht lange leiden müssen?»
Nur einmal ist eine trauernde Witwe leicht ausgerastet: «JETZT HALT ENDLICH DEN LATZ!» Susi schwieg gekränkt. (Brachte sich dann aber beim Leichenmahl wieder mit einem erquickenden Blondinenwitz ein.)
Ihre Ehe mit Kurt war das reinste Jammertal. Doch Susi nahm alles von der frohen Seite? «Man muss auch das Positive sehen», war das Negativste, das sie jemals dazu äusserte. Das war, als ihr Mann sie für eine 20 Jahre Jüngere verliess. «Nun kann ich aus seinem Büro ein Nähzimmer machen...»
Susi liebte Bücher zum Lachen. Sie schaute sich im TV all die komischen Komikersendungen an. Und «die versteckte Kamera». Zum Geburtstag schenkte ihr die Umwelt nur Heiteres: etwa einen Gartenzwerg, der donnernd Wind abliess, wenn man sein Bäuchlein presste; oder einen Plastikmönch, wo auf Knopfdruck ein schweinefarbiger, riesiger Penis aus der braunen Kutte hervorschnellte.
Susi bewahrte alle diese witzigen Präsentlein auf einem Bücherbord auf, das sie den Besuchern stets glucksend vor Lachen als «meine Gag-Wand» vorstellte.
Den «Witz zum Tag» schnitt sie jeden Morgen aus der Zeitung aus. Und schickte ein Bündelchen von 20 Witzen mit einer kurzen Bemerkung an ihre Freundin Klara in Arbon: «Kennst du den?» Oder: «Wer denkt sich bloss so etwas aus?»
Keiner konnte später so richtig sagen, wann der grosse Wandel kam. Manche meinten, es habe an den Nachrichten gelegen. Und an diesen Kommentatorinnen, die jedes Unglück dieser Welt wie einen persönlichen Trauerfall zelebrierten.
In den Zeitungen brachten sie keine Tageswitze mehr. Nur noch Hiobsbotschaften, Katastrophen und Blutiges nonstop. Die Moderatorinnen schwammen auf ihren unheilschwangeren «Wir schalten direkt in den Krisenherd»-Wellen. Und wie wild auch Susi herumzappte: Da war kein Witz mehr auf den Sendern. Nur noch Krieg? eine Natur, die sich gegen die Menschen aufbäumte, und alle drei Minuten ein Politiker, der log.
Als man Susi in der Wohnung fand, war sie bereits sieben Tage tot.
Fertig lustig. ENDGÜLTIG.
Am Grab stand nur noch Klara. Sie war aus Arbon angereist. Und warf statt Blumen Hunderte von ausgeschnittenen Zeitungswitzen ins Grab. Als Gruss aus einer vergangenen, lustigen Welt.
«Es ist ihr gut gegangen», sagte Klara.
Die lustige Susi
Montag, 22. August 2011