Die Luft ist draussen und schmeckt überall gleich

Paris hat sein Parfum verloren. Londons U-Bahn-Schächte miefeln nicht mehr. Und in Rom schüttets wie in Basel oder Aeschi bei Spiez. Auf den Ramblas von Barcelona: Kleiderständer mit Billig-Shirts. Und: «Hier sprick deutsch!»
In den Grachten von Amsterdam Kleiderständer mit Billig-Shirts. Und: «Hier spööggele deutsch». Und auf den schönsten Plätzen dieser Welt: big Laune... big Mac.
Wir sind Weltbürger geworden - mit oder ohne Ketchup.
Als ich - jung, schön, heiss - mit 19 Lenzen jeweils den Nachtzug nach Paris nahm (weil in Paris das Glück wartete), hatte schon dieser Zug ein ganz bestimmtes Parfum. Das Ganze war so eine Mischung aus gestocktem Rauch, der sich in staubigen Plüschpolstern verkrochen hatte, ausgeschüttetem Rotwein und Air du Temps. Air du Temps beherrschte damals die Frauenwelt und Frankreich.
Ich wil nicht sagen, dass ich diesen Mief gerne eingeatmet habe. Ich habe mir gar keine Gedanken darüber gemacht. Aber: Unbewusst war es mein ganz persönlich empfundenes Branding für Frankreich. Und meinen Zug nach Paris.
In der Gare de l?Est wehte dann eine Wolke von frisch gebackenen Croissants. Unwiderstehlich. Und wenn ich zur Unterwelt in die Metro abstieg, war da dieser typische Mief von warmer Luft, Menschen, Schweiss und Entlüftungsschächten - diese Wolken stiegen einem dann immer wieder auf der Strasse, wenn man die Gitter überquerte, wo die Pariser Unterwelt Luft holte, in die Nase: «Ahhh - das ist Paris!»
Anders dann England: Wenn das Schiff von Calais her in Dover anlegte, atmete man als Erstes verrauchten Torf. London hatte einen grauen Nebelschleier, in dem sich der Duft von gebratenem Frühstücksspeck und Spiegeleiern besonders hervorhob. Erbschen schmeckten wie Zahnpasta mit Minze. Und in den Frühstückswürstchen schleimte diese sägemehlartige Konsistenz, die sie unvergesslich machten.
Heute? Fritten und Mac. Selbst die traditionellen Fish-and-Chips-Angebote sind dieselben Fisch-Chips, die uns auch Tante Findus oder Onkel Nordis als «Knusperli» in aller Welt anbieten. Sie traneln nicht mal mehr. Sie haben diesen wunderbaren Einheitsgeschmack nach Paniertem. Denn jeder Koch und Nahrungsmittel-Industrieller weiss: «PANIERTES ESSEN SIE ALLE!»
Ich muss an die typischen Lions Tea Houses von damals denken. Schwarze, dicke Teefrauen haben uns (ohne aufzuschauen) Teetassen aufgefüllt, «Hi love!» gesagt und umgerechnet 20 Centimes kassiert. Wir füllten den Bauch mit Gurkenbrötchen. Es waren die billigsten. Das Brot schmeckte wie Watte - war aber typisch England.
Heute: Es gibt keine Lions Tea Houses mehr. Nur Starbucks. Und Brownies. Dieselben Brownies finde ich übrigens auch in den Starbucks von Oslo, Wien, Amsterdam und Castrop-Rauxel.
Als ich in Rom meine erste Wohnung bezog, stand vor unserer Haustüre im Sommer jeweils ein Melonenverkäufer. Er verkaufte die mit Eisstücken gekühlten Schnitze für 100 Lire. Sie waren Sommer. Und Rom.
In meiner Strasse gabs Kleinstläden mit Obst, solche mit Hühner, solche mit Würsten und Schweinefleisch. Es gab zwei konkurrenzierende Schuhmacher (die ein Leben lang nie miteinander geredet haben), ein alter Mann, der in seinem Loch Glühbirnen verkaufte - und etwa fünf verschiedene Café-Bars, die zum Frühstück gefüllte Cornetti anboten.
Heute?
Die Läden sind durchs Band weg Souvenir-Shops. Sie verkaufen T-Shirts mit dem Colosseum drauf. Ansichtskarten. Und den Papst als Zapfenzieher.
In Paris und London gibt es dieselben Souvenirläden. Nur die Motive sind anders: Eiffelturm und Prinz Charles.
Ich meine: Weshalb müssen wir noch lange herumreisen, wenn uns auf der ganzen Welt dasselbe angeboten wird? Die Luft ist draussen und schmeckt überall gleich.
Am besten wir surfen in unsern alten Souvenirs. Und überlassen die globale Touristen-Welt der jungen Generation - denn auch die wird in 50 Jahren von ihren Erinnerungen träumen: «Weisst du noch - all die Burger-Stände in Madrid mit den Tafeln: «Wir sprekken deutsch...»

Montag, 16. Juli 2007