Die Lichterkette

«Das wird noch ein Nachspiel haben!», tobte Silva Näf. Und liess die Haustüre ins Schloss krachen.
Energisch stieg sie aufs Rad und rief Zaha Kürsid zu: «Ganz abgesehen von den Mehrstromkosten sind diese Lichterketten ökologische Dreckschleudern!»
Zaha Kürsid wusste nicht, was «ökologisch» bedeutete. Auch «Dreckschleuder» war nicht in ihrem Deutschrepertoire. Die türkische Abwartsfrau wusste nur eines: Die Näf war wieder mal stinkesauer.
Das kam öfters vor. «Sie ist zuviel alleine... und sie arbeitet wie ein Mann», suchte Zaha für die Mieterin vom 3. Stock eine Entschuldigung.
Dann streichelte sie mit ihren Fingern über die rosigen Pinguine.
Diese blinkten im feurigen Eifer und piepsten «Jingle Bells» vor sich hin. Als Zaha die Pinguine gesehen hatte, war es das berühmte Feuer auf den ersten Blick. Sie hatte die Lichterkette einfach zauberhaft gefunden.
Und beschlossen, die Lichtdinger für die Haustüre zu erstehen.
Immerhin feierte man hierzulande Advent. Und wenn diese Festzeit in ihrem Muslimkalender auch übersprungen wurde, so waren die Lichterspiele, die nun überall funkelten eben doch ähnlich wie an den Festivitäten am Ende eines Ramadans.
Aber wie oft an einem Ort, wo verschiedene Menschen unter einem Dach zusammenleben, kam es auch in dieser Zeit, die überall sanft den Frieden verkündet, zum hausfesten Krach. Die Näf, als linke Parlamentarierin das Einberufen von ausserordentlichen Sitzungen gewohnt, trommelte die Bewohner zu einem «Mietertreff» zusammen. Dort erklärte sie sachlich, aber scharf, dass sie weder gewillt sei, an der Stromrechnung noch am Ankauf dieser «primitiven Vogelei!» (ihre Worte!) zu partizipieren. Sie sei Atheistin.
Habe sich der Natur und nicht dem Advent verschrieben. Und sie beantrage, dass die Pinguine von der Haustüre zu verschwinden hätten... August Hämmerli (1. Stock), der während der Rede der Näf immer wieder an seinem Hörapparat herumfingerlte, sodass alle drei Sekunden ein Fiepsen die Politikerin noch mehr in Rage brachte, meldete sich zu Wort: Er fände die Vögelchen nett. Sie würden ihn an seine Kinderzeit erinnern und...
Silva Näf: «Wir heizen mit solchem Firlefanz den unnötigen Konsum an! Die Leute werden in eine Feststimmung geduudelt und verlieren ihren Verstand, als seien sie mit Tonnen von Cannabis zugeröhrt...»
«Hört! Hört!», kicherte Udo. Udo (2.Stock) lebte seit einem Jahr im Haus an der Colmarerstrasse. Als seine Eltern herausbekamen, dass er sich für eine Zweisamkeit mit einem gewissen Franz, einem dieser langhaarigen Kulturfuzzis aus der Kasernen-Szene entschlossen hatte, war fertig mit «Hotel Mama». Sie packten ihm die Koffer. «Dass IHNEN rosige Pinguine, die Halleluja schmettern, gefallen, war zu erwarten», schoss Silva Näf ihre Giftpfeile ab.
Die Abstimmung war dann 3:2 gegen den Haustürschmuck. Und Zaha hängte die Girlande wieder ab, während Silva Näf mit ihrer Skiausrüstung unter der Türe stand:
«Ich fahre nach Davos, Frau Kürsid. Wenn Sie mir bitte die Post auf die Seite legen würden... frohes Fest!»
Zaha beschloss, die Näf-Post direkt zu entsorgen.
Es war ein regnerischer Heilger Abend. Zaha wollte eben losgehen und bei Demir an der Ecke die Zutaten für einen Hammeleintopf besorgen, als Udo sie beim Arm nahm: «Frau Kürsid, darf ich Sie heute Abend einladen. Mein Freund versucht sich in chinesischer Küche und...»
Zaha mochte diesen Freund nicht besonders. Er war ihr zu weibisch.
Bei ihr hatten Männer noch richtige Männer zu sein. Schnurrbart. Kurzschnitt. Aber Zaha war alleine? ihr Alter war vor drei Jahren von dieser Welt gegangen. «Ich komme gerne», lächelte sie. Und musste zugeben: Kochen konnte dieser Langhaar-Franz. Zaha hatte sich selten so wohlgefühlt. Es war halb sieben, als der Expresspöstler das Paket aus Davos abgab. «Von der Näf?!»? Udo grinste. «Vielleicht eine Bombe?!» Langsam fädelte Zaha eine Kette mit glimmrigen Tannzapfen aus der Schachtel.
Dazu ein Brief. «Sie leuchten nur und fideln gottlob nicht... auf ein friedliches 2010, Ihre Silva Näf!» Zaha betrachtete das Kärtchen mit dem Engel. Und fühlte fast ein kleines Glücksgefühl. Sie beschloss, die Kette noch in dieser Nacht zu montieren und die Näf-Post aus dem Abfall zu fischen.
Wäre sie nicht eine Muslimin gewesen, hätten wir Ihnen hier diese kleine Episode gut und gerne als Weihnachtsgeschichte erzählen können...

Montag, 7. Dezember 2009