Die letzte Kalbshaxe

Ilse schnitt sich noch ein Stück vom Zopf ab.
Mit den Fingerkuppen sammelte sie die Brosamen ein. UND ÜBERLEGTE, WIE SIE KARL AM BESTEN UMBRINGEN KÖNNTE.
Das avisierte Mordopfer sass ahnungslos hinter seiner Tageszeitung. Und rülpste, so dass Frau Merkel auf der ersten Seite ins Flattern kam.
Ilse schauderte. WIE HATTE SIE SO ETWAS JE HEIRATEN KÖNNEN!
Ähnliches hatte sich damals auch ihre Mutter gefragt. Die taxierte den künftigen Schwiegersohn mit einem eisigen Blick. Schenkte sich einen Eierlikör ein. Und schüttelte den Kopf: «DAS nicht, Ilse! Dann lieber ein Kloster.»
«Ach, die Schwiegermutti ist ein Witzkistchen...», schleimte Karl.
WAR SIE NICHT. Die Schwiegermutter war Realistin bis in die dürren Knochen. Sie blieb der Trauung fern. Grund: eine eintägige Gürtelrose.
Es wurde eine Durchschnittsehe. Kinderlos. Anfangs: Vanilla-Sex. Dann schlief auch das letzte Küsschen ein. Und Ilse wars recht so.
Denn Karl litt an Mundgeruch. Da konnte keine Freude aufkommen.? Sie war ihm eine gute Ehefrau. Putzen. Kochen. Hemden immer flundernglattgebügelt bereit gelegt. Und Sonntags: Kalbshaxe mit Stock.
«Das erinnert mich an meine Mutti», meinte Karl Sonntag für Sonntag. Haxe für Haxe. Stock für Stock.
Er liess sich gehen. Wurde fett. XXL. Das Kinn war sechslagig wie ein textiler Tellerwärmer. Und die Augen nahmen chinesische Formen an? zwei Schlitze über Schwabbelschweinebacken. Dazu kam ein asthmatisches Keuchen, wenn er sich vom Fernsehstuhl aufs Schlafzimmerbett zu bewegte. Und noch immer dieser Mundgeruch?
«Ich habs dir ja gleich gesagt», triumphierte die Mutter. Und kippte einen Eierlikör. «Selbst das Gefängnis ist besser. Du bist doch nichts anderes als seine Gratis-Putzhilfe...»
Als Karl dann zwischen «Tagesschau» und «SF bi de Lütt» während einer Salbenreklame («Weil ichs mir wert bin») der geschockten Gattin eröffnete, dass er ab Ende Monat daheim bleiben würde, weil die Firma ihn frühpensionieren wolle, da kapierte Ilse endlich: «DAS nicht!» Die Mutter hatte recht gehabt.
Es war erstaunlich, wie leicht man über Internet zu Arsen kam. Kreditkartennummer. Verfallsdatum. Und schon war das Päckchen da.
Sie gab eine Messerspitze voll in die Sauce. Karl liebte den Saucensee im Stock. «Wie bei Mutti!», kommentierte er. Und hooverte den vermatschten Stock rein.
Ilse schaute ihm fasziniert zu. Sie verfolgte jeden Bissen, den er sich reinschaufelte. Und sie wartete darauf, dass endlich... endlich...
DA. Die Schweinebacken glühten... der Hals, dick wie ein Hydrant, bebte gefährlich? UND DANN MACHTE SICH DER MASSIGE KÖRPER LUFT.
Diesmal wars nicht nur ein Bäuerchen.
So wunderbar erleichtert nahm sich Karl noch eine zünftige Portion. Und schaute Ilse mit seinen Schlitzäuglein giftig an: «Mutti hat zum Haxen stets noch eingemachte Zwetschgen serviert!»
Sie ging in die Küche. Kippte die Sauce in den Ausguss. Und warf den Rest des weissen Pulvers in den Müll. (Auf so dubiose Internet-Bestellungen war eben doch kein Verlass.)
Sie dachte an all die vielen Haxen, die noch vor ihr lagen. An die vielen Rülpser und Schlimmeres. An die eiskalten Schweinsäuglein.
Ein eisiger Schauer durchlief sie.
Ilse ging ins Nähzimmer. Und holte das Bügeleisen.
DIESMAL NICHT, UM DIE HEMDEN ZU BÜGELN.

Montag, 14. November 2011