«Hallo? wowww! Gut siehst du aus!»
Hugo schreckte aus seinen Tagträumen hoch.
Er schaute den Mann fragend an. Dieser guckte etwas gekränkt: «Ja kennst du mich nicht mehr: Edi... Schützenmatten-Edi... Ich habe doch die Evi geheiratet?!»
Hugo setzte sofort alle Antennen ein. Sein Gesicht tat, als würden alle Lichter aufgehen: «Ja klar... der Edi... Hallo, du alte Nummer. Was macht die Evi?»
«Sie ist tot.»
Nun versagten die Antennen. Und auch das Mienenspiel.
Die Zeit bringt Hugo immer mehr in solche Situationen? zwar liest er seit seiner Pensionierung zuerst die Todesanzeigen. Jeden Tag stehen in diesen schwarzen Kästchen Namen, die er gekannt hat. Und manchmal passiert es ihm, wenn er in der Kunsthalle beim Mittagsmenü sitzt, dass jemand hereinkommt. Und er erschrocken aufblickt: «Aber den habe ich doch eben gelesen...»
Die tote Wirklichkeit und die Realität vermischen sich ins Nebulöse. So auch hier:
«Eva tot? Um Himmels willen!»
Edi machte ein betrübtes Gesicht: «Am Schluss ist es ihr nicht gut gegangen. Sie hatte Krebs... es waren böse Monate... ich war immer bei ihr...»
«DU GUTER!»? was hätte Hugo sonst sagen sollen.
In seinem Kopf vibrierten die Ganglien auf 1000: «Evi... Edi...? Kiwaner? Oder vom Golf? Vielleicht hatten sie auch das Mittwochs-Abo... aber nein. So sah Edi nicht aus. Eher nach Kegeln... Hugo aber kegelte nicht...»
«Das waren schöne Zeiten...», sagte Hugo, damit etwas gesagt war.
Edis Augen röteten sich. Peinlich! WAS NUN, WENN DER JETZT MITTEN AUF DER STRASSE VOR HUGO LOSFLENNT! Was die Leute dann denken würden: EHEKRISE UNTER HOMOPAAR? Oder? noch schlimmer? Bankier auf frischer Tat ertappt, wie er seinem Kunden die Verluste des Aktienpakets erklärt.
ES WAR EINE UNMÖGLICHE SITUATION.
Schliesslich schnüffelte Edi: «Wie lange wart ihr eigentlich zusammen...? Evi hat immer wieder davon erzählt...», seine Stimme schwankte: «... es muss eine glückliche Zeit für sie gewesen sein. Vermutlich glücklicher als mit mir...»
JETZT ABER SCHELLTEN BEI HUGO ALLE ALARMGLOCKEN!
«Evi? Evi? Glückliche Zeit?... War das etwa die kleine, lustige Schuhverkäuferin gewesen? Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr an deren Namen erinnern. Aber er hatte sie etwa drei Monate lang in seine Mansardenbude raufgeschleppt. Hiess die wirklich Evi? Oder Flora? Klar? das war Flora.
Und plötzlich überkam es ihn wie ein Blitz mit Paukenschlag: «... die kleine Ballettratte. Natürlich. Sie war Polin gewesen und hiess Evakaja...»
Vorsichtig erkundigte er sich bei Edi: «Hat Evi noch lange getanzt?»
Der frischgebackene Witwer schaute mit rot umrandeten Augen auf: «Getanzt? Evi hat nie getanzt. Sie hatte das Buchhalterdiplom...», er schnäuzte sich die Nase, «... noch in der letzten Stunde hat sie nach dir gefragt. Ich gehe jetzt zum Steinmetz. Sie soll einen prächtigen Grabstein haben. Willst du dich beteiligen?»
Hugo steckte Edi wortlos einen Hunderter zu.
Dann gingen sie auseinander.
In der Kunsthalle traf Hugo dann seinen alten Freund Rolf: «Weisst du, was mir passiert ist...?!»
Rolf wusste es zehn Minuten später. Und lachte: «... ach der! Der hat mich vor drei Wochen angehalten. Ich habe mich mit einem 50er am Stein beteiligt!»
Der Witwer
Montag, 8. Oktober 2012