An jenem Tag, als der Dorfbarbiere Enzo auf seinem Coiffeurstuhl die Zeitung las, war das nicht ungewöhnlich.
Denn Enzo hockte morgens immer lesend auf seinem grünen Barbier-Sessel. Und er blätterte dabei schön langsam das Neueste aus der Welt durch? es war eine Welt, die weit weg von ihm existierte. Und doch nichts anderes war als sein Insel-Alltag.
Schreiner Mimmo wollte sich seine Birne glatzenglatt scheren lassen. Und klopfte dem sitzenden Enzo von hinten auf die Schulter.
Schon kippte der Barbiere vornüber. Rutschte vom Stuhl. Und Mimmo kam ungeschoren davon.
«Herzversagen»? sagte der Arzt.
«Ein schöner Tod», sagten die Leute.
«Gott alleine kennt unsere Uhr?», sagte der Priester.
Die Menschen standen bei der Totenmesse bis auf die Strasse hinaus. Enzo war ein Stück ihres Lebens gewesen. Wenn die Fischer nicht ausfahren und somit kein Geld verdienen konnten, schnitt er ihnen die Haare umsonst.
Und als Pipo nirgendwo eine Stelle bekam, weil sein Vater ein bis über die Insel weit hinaus bekannter Kommunist war (und die Inselbewohner Kommunisten scheuten wie der Teufel das Weihwasser), da durfte er trotzdem bei Enzo in die Lehre gehen.
Pipo wurde ebenfalls Figaro. Um den alten Lehrmeister aber nicht zu konkurrenzieren, eröffnete er einen Salon für Damenfrisuren. Dies, obwohl er nie gelernt hatte, eine Dauerwelle zu legen.
Den Frauen wars egal. Pipo war ein netter Junge; und so kam es, dass alle Weiber auf der kleinen Insel Kurzschnitt trugen. Und wie gepuderte Pudel aussahen.
An jenem aufregenden Tag, als Enzo von zwei maskierten Ganoven mit Schweinchenlarven überfallen wurde, schwieg sich der Figaro bei den Carabinieri aus. Nein. Er könne gar nichts beschreiben. Nur Sauköpfe. Und ja, sie hätten 10 000 Lire ergattert. Sicher müssten es Ausländer gewesen sein.
Vier Tage später, als sich Ivo, der Metzgersohn, und Marco, ein angehender Automechaniker, rasieren lassen wollten, hielt Enzo ihnen das Barbiermesser an die Gurgel: «WESHALB? ICH WILL NUR WISSEN W E S H A L B?!»
Die beiden jungen Männer heulten wie Schlosshunde. Sie erzählten, dass sie gemeinsam ein junges Mädchen ins Unglück gebracht hätten. Und dass sie unbedingt 200 000 Lire für die Abtreibung bräuchten? WORAN ZUM TEUFEL ER SIE ERKANNT HABE? Enzo seufzte: «Wer ein Leben lang das Haarige der anderen sieht, kennt jeden Wirbel am Schweinekopf?»
«Ihr werdet mir künftig 12 000 Lire pro Monat als Schweigegeld bezahlen. Das Geld ist für meine Beerdigung!»
Er holte aus dem Hinterzimmer zweimal einen 100 000-Lire-Schein: «Hier? für die Abtreibung!» Die beiden küssten Enzo die Hände. Und sie bezahlten jeden Monat das Schweigegeld? bis zu diesem Moment, als der alte Figaro, in der üppig geschmückten Kirche aufgebahrt, von den Klageweibern des Orts beweint wurde.
Und jeder sich fragte, wie sich ein einfacher Coiffeur so ein pompöses Funerale leisten konnte.
Da Enzo keine Erben hatte, räumte die Comune die Figaro-Bude. Der Beamte hängte drei Fotos ab: eines von Ivo, das diesen als strahlenden Bräutigam zeigte. Ein anderes von Marco, als er den grossen Preis von Monza gewann.
Und das dritte: ein Porträt von Pipo.
Letzterer hat kürzlich das Geschäft seines verblichenen Lehrmeisters übernommen. Und dort den Figaro-Salon UNISEX eröffnet.
Der Tod des Figaros...
Montag, 22. April 2013