Der Beischläfer

«? er schläft mit Max!», flüsterte Innocent zu seiner Freundin Rosie. Und rümpfte die Nase.
«Ich weiss nicht, was er an ihm sieht?»
Derweil hockt Max auf meinem Bett. Und stiert - zugegeben - etwas hilflos in eine Ecke.
«? und das Allerschlimmste: Max muss auf alle unsere Reisen mit. Ich finde das nur noch peinlich?»
Nun werde ich aber doch leicht säuerlich. «Noch ein Wort und ich sage mit wem DU herumpennst?»
Daraufhin hat Innocent hurtig das Thema gewechselt.
Ich habe dann Max getröstet und ihn über den Kopf gestreichelt. Er ist grau geworden. Das Alter hat ihn irgendwie melancholisch gemacht.
Max ist nun 55. Er trat auf meinen 5. Geburtstag in mein Leben. Tante Gertrude hatte ihn aus München mitgebracht.
Als ich den kuschelweichen Elefanten aus dem Goldpapier schälte, waren der Fussball meines Vaters und das Handgestrickte von Mutter vergessen - NUR NOCH MAX ZÄHLTE.
Den Namen hatte er von einem damals legendären deutschen Boxer, der die ganze Steiff-Tierchenkollektion in einer Werbeaktion getauft hatte. Der Boxer hiess wie mein Plüschelefant.
Als Einzelkind hast du es schwer. Du bist umgeben von Erwachsenen und keiner kann mit den Sorgen eines Kindes etwas anfangen. Also erzählte ich Max vor dem Einschlafen, was mich bedrückte. Max zeigte sich verständnisvoll. Er hörte zu. Und widersprach nie.
«Nunneli» wurden solche Beischläfer in unserer Familie genannt. Mein Vater schlief immer mit einem Taschentuch in der Hand, dem er vorher einen Knopf gedreht hatte. Meine Mutter reiste nie ohne ihr Hirsekissen. Und die Kembserweg-Omi hatte stets den Flachmann mit der stärkenden Kraft von Klosterfrau Melissengeist auf dem Nachttisch. Ohne die Klosterfrauen hätte sie kein Auge zugetan.
Bei mir wars eben Max. Und selbst als ich in diese vermaledeiten Skilager musste und mein Schlafzimmer mit der halben Klasse teilte, habe ich Max mitgenommen. Das war dann keine kindliche Marotte mehr. Das war so etwas wie «das Prägen eines eigenen Stils»: Um das Rüsselchen von Max hatte ich eine rosa Schleife gebunden. Die Klasse verdrehte die Augen: «Total durchgeknallt!» (Von unsern 20 Maturanden sind 14 Psychiater geworden. Sie gaben alle an: Max und ich hätten bei ihrer Berufswahl keine unwesentliche Rolle gespielt?)
In den wilden Jahren, als Maxens Rüsselchen gegen Besseres eingetauscht wurde, staubte das Plüschtier unbeachtet in einer Vitrine mit zwölf Likörgläsern vor sich hin. Einmal jährlich schüttelte Linda dann Max durch, sodass eine graue Staubwolke explodierte: «Was wir wollen mit grauseliges Elefantig? Wir geben dummes Tier in Kirchbasar für Drittweltig?»
Was sollte Max in einem Erdteil, wo es echte Elefanten gab?
Kurz vor meinem 60. Geburtstag überfiel mich das, was man wohl eine kleine Depression nennt.
Vielleicht das Alter?
Vielleicht zu viel gegessen? Ich weiss es nicht - jedenfalls sah ich plötzlich, wie mir Max mit seinen etwas verblichenen Glasknopfaugen zuzwinkerte. Und ich nahm ihn in die Arme. «Ach Max!»
DAMALS SCHLIEF MIR MAX NACH LANGER ZEIT WIEDER BEI. Und es war schön, wie beim ersten Mal.
Seither sind wir unzertrennlich.
Innocent nennts eine «peinliche Macke».
Mir egal. Ich sage ja auch nichts, dass er seinen Apnoe-Sauerstoffschnorchel «Putzi» nennt und ihn jede Nacht mit «Na Putzi - dann wollen wir mal?» anschnallt.

Montag, 17. September 2007