Als Kind schon mochte ich Rosa.
ES WAR NICHT DIE FARBE, DIE SICH MEIN VATER FÜR SEINEN SOHN WÜNSCHTE.
In der Familienchronik steht, dass ich mich gegen einen senffarbigen Kinderwagen heiser geschrien hätte und erst zufrieden war, als man mich in etwas herumfuhr, das einer weissen Kutsche mit zarten Chiffon-Vorhängen ähnlich war.
Mit drei hatte ich meinen ersten himmelblauen Teddybären. Mit fünf Adelheid. Das war eine blutarme Puppe in lindengrünem Rüschenkleid. Sie war dieses Genre, das ein braver Schütze am Jahrmarkt herausschiessen konnte. Tante Gertrude hatte es mit einer kostbaren Schildkrötenpuppe bei mir versucht. Ich schrie zetermordio. Das Bräunliche war nicht die Favoritenfarbe des zarten Knaben. Also wurde die Schildkrötenpuppe sofort gegen eine plüschige Glimmermaus mit kunstseidenen Wimpern, gross wie Schneeschaufeln, umgetauscht.
«Das Kind ist aber sehr seltsam...»? das war der Tenor an Mutters Strickkränzchen.
«Das gibt eine echte Tucke...»? Ähnliches hörte man in Vaters Morgarten-Tramdepot.
Und mit «... nicht nur schwul, sondern auch den Geschmack einer Tingeltangelnutte» beklagte sich die Kembserweg-Omi bei Herrn Kleiber. Sie bohnerte einmal die Woche dessen Zweizimmerwohnung auf Glanz. Und da Herr Kleiber Ballettmeister war, hielt sie ihn in jeder Beziehung für einen Experten. Doch der sagte nur: «Geben Sie ihm Lebertran.» Das Resultat war ähnlich wie bei der Schildkrötenpuppe.
Als ich mir auf den zehnten Geburtstag ein Likörservice mit Goldrand wünschte, war klar, wohin die Sache laufen würde.
Mit zwölf hatte ich meinen ersten Samtkragen. Und mit 14 empfand ich Eiercognac mit einer Cocktailkirsche serviert als Gipfel des Chics.
«Er ist die absolute Kitschnudel...», wisperten sie nun an den Familientagen. Die Vettern machten einen Bogen um mich und hielten ihre Hände bei meinem Auftritt jedesmal automatisch dorthin, wo sie diese auch hinhielten, wenn ein Penalty geschossen wurde. Umso mehr waren die Cousinen auf den smarten Vetter heiss. Sie holten sich Ratschläge in Liebesfragen und wollten wissen, welchen Nagellack ich aufstreichen würde.
Als kurz vor der Matur ein älteres Männchen in unsere Klasse kam, dessen entsetzlich schlechter Atem die erste Reihe betäubte, und als das ganze Elend sich als ein Berufsberater herausstellte, wedelte ich hektisch mit meinem Fächer. Das atembetäubende Männchen nahm mich ins Visier: «Haben Sie schon an eine geistliche Karriere gedacht...? Sie könnten nach der Matur das griechische Studium nachholen und dann...»
Ich hatte zu stark gepudert und flog durch die Matur. Somit blieb mir das Kloster erspart. Obwohl ich später bei meinen Römer-Studienjahren zugeben musste, dass punkto Prunk und Glamour die Herren Päpste WEISS GOTT zu leben wussten. Ihre Auftritte stellten jeweils eine Monroe auf dem Windrost in den Schatten. Und ehrlich: Jede Dragqueen von heute träumt doch davon, mit einem so grossen Stab in der Linken und dem Klunker an der Rechten dem Volk zuwinken zu dürfen. Dazu noch diese roten Socken in der Farbe eines Chanel-Lippenstifts. Also Ratzinger hats geschafft? das müssen wir neidlos anerkennen. Aber solche herrliche Auftritte hat uns damals das Männchen mit dem schlechten Atem nicht in Aussicht gestellt, und wer weiss, ob sonst der aktuelle Papst nicht aus Bayern, sondern aus Basel am Rhein gekommen wäre...
Irgendwann kippte alles. Ich meine: Plötzlich tauchen stahlharte Boxer mit Muckis wie Räucherschinken in Talkshows auf und halten himmelblaue Teddybären in den Fingern. Trämler Meier hat eine aufgerüschte Porzellanpuppe in seinem Führerstand, die einen Zettel in den Händen trägt. «Ich heisse Susi und bin sein Hobby.» Und es ist auch nichts dabei, wenn Onkel Doktor dich im Wickeljupe empfängt oder dein Seelenklempner die Kundschaft mit einem Lachsack motivieren will. Im Übrigen sind heute Likörservices mit Goldrändchen ein immer wieder beliebtes Geschenk an Türken-Hochzeiten geworden. Ja, was wollt Ihr mehr?!
DIE WELT IST VERRÜCKTER, VERKITSCHTER, WAHNSINNIGER ALS NOCH VOR EINEM HALBEN JAHRHUNDERT? ICH WILL NICHT SAGEN, DASS SIE DESWEGEN BESSER IST. ABER BUNTER BESTIMMT. Und wir sind stolz darauf, mit dem Protest gegen einen senffarbigen Kinderwagen dazu beigetragen zu haben.
Bunte Welt
Montag, 17. Januar 2011